Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
Tür weit auf.
Warmes Abendlicht flutete den trostlosen Raum und brach sich in zahllosen Muschelaugen. Dutzende Figuren waren einfach hineingeworfen worden. Bei vielen waren Teile abgebrochen und die Gesichter verkratzt. Wo sie noch gut erhalten waren, schienen die Figuren ihre Besucher mit anklagendem Blick zu mustern.
» Hier ist sicher etwas für die Käufer Ihres Vaters dabei « , sagte Father Blake trocken. Johanna hatte das Gefühl, dass er das, was ihm eigentlich auf der Zunge lag, herunterschluckte.
Bis die Sonne unterging, waren zwei Dutzend Statuetten aussortiert, die am Morgen von den Dorfbewohnern sorgfältig in Bast eingewickelt würden, damit sie den langen Weg nach Europa unbeschadet überstanden.
Auf dem Weg zurück zum Missionshaus schwiegen sie bedrückt. Es war bedauerlich, wie die Menschen ihre Schätze wegwarfen. Figuren, die oft verstorbene Verwandte und Ahnen darstellten und über Generationen in den Familien aufbewahrt worden waren, wurden plötzlich verteufelt. Johanna musste an das Taonga denken. Die Seele der Dinge, von der ihr Hariata erzählt hatte. Im Stillen nahm sie sich vor, für die Skulpturen etwas zurückzugeben. Zwar bekam sie sie von Finn gönnerhaft geschenkt, doch dem fischkalten Missionar etwas zu geben, wollte sie nicht.
Hariata würde wissen, was angemessen war. Eine Auswahl ihrer Handelsgüter, die gerecht unter den Einwohnern verteilt wurden, sollten die Seelen der gekränkten Verstorbenen besänftigen.
Es war still und dunkel zwischen den Häusern, und Johannakam nicht umhin zu bemerken, dass außer ihr und Father Blake fast nur noch schwer bewaffnete Krieger unterwegs waren.
» Müssen wir vor etwas Angst haben, Father? « , erkundigte sie sich schließlich. » Mr Finn klang besorgt, als Sie miteinander sprachen. «
» Sie und ich haben nichts zu fürchten, Johanna. « Er wies mit dem Kinn unauffällig zu einer Gruppe älterer Männer, die unter einem ausladenden Kahikatea -Baum saßen. Ihre Körper und vor allem ihre Gesichter waren über und über mit Tätowierungen verziert. Damit waren sie leicht als Anführer und weise Männer zu erkennen. Sie waren in eine Diskussion vertieft und bemerkten die europäischen Gäste nicht.
» Was ist mit ihnen? « , erkundigte sich Johanna mit gesenkter Stimme. Ob der Priester wohl Streit mit den Alten hatte?
» Schlimme Dinge passieren zurzeit in dieser Region. Kriegerische Banden machen Jagd auf Männer mit tätowierten Gesichtern. «
Johanna blieb stehen.
» Was? Warum denn? Sind sie nicht besonders hoch geachtet? «
» Doch. Aber ihre Köpfe bringen getrocknet und geräuchert besonders viel Geld. Sie häuten sie, wie Vieh. Ich weiß, das ist eigentlich kein Thema für eine Frau. Doch wenn die Sammler in Europa, übrigens die gleichen Leute, denen Sie die Schnitzereien verkaufen, nicht so viel Geld bieten würden, dann hätten wir das Problem nicht! «
Johanna war geschockt.
» Das habe ich nicht gewusst. Wie furchtbar. Am liebsten würde ich das Ganze abblasen und umkehren. «
» Und so Männer wie Finn das Feld überlassen, damit er diese Meisterwerke der Schnitzerei einfach verbrennen oder im nächsten See versenken kann? Nein, bitte nicht! «
Sie nickte bedrückt. Ihre Gedanken kehrten nach London zurück, wo ihr Vater jetzt sicherlich umgeben von exotischen Schätzen in seinem Studierzimmer saß. Besaß nicht auch er einen dieser ekelhaften Schrumpfköpfe, vor denen sie sich schon als Kind so schrecklich gefürchtet hatte?
Sie hatte sich nie Gedanken gemacht, was mit dem Menschen geschehen war, dem der Kopf einst gehörte. Hatte ihr Vater am Ende Geld dafür bezahlt, damit ein Mann ermordet wurde?
Wahrscheinlich wusste er nichts von der Tragweite seines Kaufs, das hoffte sie zumindest. Sie konnte die Übelkeit, die sie überkommen hatte, nicht abschütteln.
Father Blake schritt neben ihr her und musterte sie. Schließlich legte er ihr beruhigend die Hand auf den Arm.
» Keine Angst. Dieses Dorf ist sicher. Es gibt viele Krieger hier, den Alten wird nichts geschehen. Die Angreifer nutzen üblicherweise den Überraschungsmoment. Es sind feige Kerle, weiße Gauner, Mischlinge und Trunkenbolde, die unter den Maori ihre Ehre verloren haben. «
Johanna nickte.
» Die Leute, die so etwas Schreckliches kaufen… «
» Sie sind Mörder, genau wie diejenigen, die diese Menschenjagden veranstalten, und Gott wird sie richten! «
Johanna hatte das Gefühl, jeden Moment ohnmächtig zu werden. War ihr Vater
Weitere Kostenlose Bücher