Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
Manna – waren von Gott gesegnet, wie Father Blake sagen würde– und erreichten Land.
Das Land war Aotearoa, Neuseeland. Sie lebten eine Weile hier, waren glücklich und wurden reich. Doch aller Reichtum war nicht genug, um sie über ihre Einsamkeit hinwegzutrösten. Und so kehrte Kupe nach Hawaiki zurück, berichtete seiner Familie und seinem Stamm von diesem wunderbaren Land und überredete sie, ihm zu folgen. Eine große Flotte von Kanus brach auf, und so kam unser Volk hierher. So erzählen wir es uns von Generation zu Generation, von Mutter zu Tochter. Jeder Maori aus einer guten Familie kann Ihnen sagen, in welchem Waka seine Vorfahren hierhergereist sind, denn all diese Boote hatten Namen. Wir sind über das Meer gekommen, wie ihr. «
» Und wo liegt dieses Hawaik i ? «
Hariata lächelte geheimnisvoll.
» Das weiß niemand mehr so genau. Aber wenn wir sterben und unsere Seelen den Körper verlassen, kehren sie dorthin zurück, in die Heimat aller Maori. «
» Dann ist Hawaiki so etwas wie das Paradies? Wohnt dort auch euer Gott? «
» Wir haben mehr als einen Gott, wie Sie wissen. Zumindest wenn Männer wie der gute Father Blake nicht versuchen, sie uns wegzunehmen oder sie mit bösen Reden zu erzürnen. Unsere Götter sind mit uns gekommen, nach Aotearoa. Sie sind in den Bergen, den Wäldern und Seen, aber auch in Hawaiki. Sie sind Götter, sie können dahin reisen, wo es ihnen gefällt. «
Johanna nickte. Wie anders war doch der Glaube der Maori, verglichen mit ihrem. Manchmal, wenn sie sich sehr einsam fühlte, zweifelte sie sogar daran, ob Gott überhaupt von der Existenz Neuseelands wusste. Früher, in der All Souls Church in Marylebone, die sie zwei Mal in der Woche besucht hatte, meinte sie zu fühlen, wie Gottes Blick auf ihr ruhte. Manchmal wohlwollend, oft streng, aber er war immer da. In Urupuia spürte sie von alldem nichts.
Als Johanna merkte, auf welch dunklen Pfaden ihre Gedanken gerade gewandert waren, betete sie lautlos ein schnelles Ave-Maria. Das kam davon, wenn man Hariatas Heidengeschichten lauschte. Sie nahm sich vor, vorsichtiger zu sein und ihre Seele nicht mehr so leichtfertig aufs Spiel zu setzen.
Als sich die Sonne tief über die Berge neigte und Wälder und Wasser mit einem goldenen Schimmer überzog, erreichten sie ihr Ziel an einem breiten Nebenarm des Whanganui.
Stege, an denen zahlreiche kleine Boote festgemacht waren, reichten weit ins Wasser. Die meisten waren einfache Gefährte, wie sie zum Fischen benutzt wurden, aber auch Kriegskanus waren darunter, größer noch als das, mit dem sie selber reisten.
Hinter der Landzunge mit den Stegen öffnete sich einladend eine Bucht. Am weiten Ufersaum hingen Netze zum Trocknen aus, und ein halb fertiges Boot ragte unter einem Schilfdach hervor.
Johanna kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Raunatia war ein großes Dorf. Hütte reihte sich an Hütte, die sanft ansteigenden Hügel dahinter waren gerodet und in viele Felder parzelliert. Das Farmland schien sich noch viel weiter zu erstrecken. Erst jetzt erkannte Johanna, dass sie schon eine Weile daran vorbeigefahren waren. Einige Felder reichten fast bis ans Wasser, ein schmaler Saum aus Schilf, Farn und Eisenholzbäumen verbarg sie vor neugierigen Blicken.
Einer der Ruderer rief eine Begrüßung über das Wasser, und schon kurze Zeit später hatten sie an dem Steg angelegt. Endlich konnten sie die vom langen Sitzen schmerzenden Beine strecken.
Johanna wurde von den Dorfbewohnern freundlich begrüßt. Father Blake sprach viele Einwohner mit Namen an und erkundigte sich nach Freunden und Verwandten.
Johanna entdeckte unter den Kindern viele mit heller Haut und blondem Haar, die aussahen, als stamme zumindest ein Elternteil aus Europa.
Als sie Hariata darauf ansprach, berichtete diese von vielen Pakeha, die es zu den Maori-Frauen zog und zeitweilig oder dauerhaft in den Dörfern lebten.
» Dann gibt es hier Schulen und Kirchen? «
Hariata lachte. » Sind das die einzigen Dinge, an die ihr Pakeha denkt, wenn ihr in unser Land kommt? Nein. Die Männer, die hier leben, leben wie wir. Sie sind nicht mehr Teil eurer Welt. Aber es gibt hier einen Gottesmann, dort oben. «
Sie wies einen Hang hinauf. Dort stand eine kleine Holzkirche mit einem Glockenturm.
» Dort werdet ihr auch übernachten. Obwohl ich sicher bin, dass es bei uns lustiger zugeht. «
Johanna bezweifelte Hariatas Worte nicht, sobald sie des schlaksigen, blonden Missionars ansichtig wurde, der die
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