Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
verdammt, für immer in der Hölle zu schmoren? Sie musste es wissen, musste ihn unbedingt im nächsten Brief fragen, ob er wirklich einen solchen Kopf besaß und woher er diesen hatte.
Januar 1847
New Plymouth
W enigstens waren die neuen Rekruten, die mit dem Schiff aus Australien gekommen waren, Hitze gewohnt. Liam waren fünfundzwanzig Männer zugeteilt worden, die er auf den Einsatz im undurchdringlichen Dschungel im Hinterland von Neuseeland vorbereiten sollte. In dieser Nacht war der kühle Wind der Tasmansee ausgeblieben und schon der Morgen brütend heiß. Liam ließ die Männer in voller Ausrüstung zehn Meilen marschieren, was nur ein Bruchteil dessen war, was sie bei einem Einsatzbefehl zu leisten hatten.
Die Männer marschierten grimmig und schweigend durch eine weite Dünenlandschaft. Zwischen den mit Seggen bewachsenen Sandhügeln schien sich die Hitze zu stauen, und Liam ärgerte sich, dass er ausgerechnet diese Route gewählt hatte. Seine Stute stapfte durch den tiefen Sand, das Fell so nass wie die schweißgetränkten Wolluniformen der Soldaten. Der starke Wind, der sich über den Dünen aufgeheizt hatte, fegte über die Kämme und wirbelte Sand umher.
Liam rieb sich die Augen, bis sie noch mehr brannten.
Zum Glück war es nicht mehr weit bis zu ihrem Etappenziel. Er rief den Männern aufmunternd etwas zu und versprach ihnen eine Pause im Schatten.
Bald erreichten sie einen schilfgesäumten Wasserlauf, der sich durch die Hügel schlängelte. Die Rekruten ließen sich auf die Knie sinken, nahmen die Mützen ab und gossen sich mit beiden Händen das kühle Nass über den Kopf.
Liam trieb seine Stute tief in den Wasserlauf, ließ das Tier saufen, das nun bis zum Bauch im Fluss stand, und trank selbst Wasser aus der hohlen Hand.
» Eine kurze Rast! « , ordnete er an. » Wir wollen zurück sein, bevor es noch heißer wird. «
Die Männer stöhnten.
Liam ritt ein kurzes Stück flussaufwärts und suchte sich einen schattigen Platz unter einer Weide, dort ließ er das Pferd grasen und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Die Schatten der langen Triebe huschten wie Schlangen über den Grund.
Er tat so, als wüsste er nicht, warum er ausgerechnet heute auf diesen Gewaltmarsch bestanden hatte, doch er ahnte es. Es war die kleine Strafe dafür, dass er am Vorabend einen Teil seiner Vergangenheit begraben hatte. Selbst wenn Johanna nun durch einen glücklichen Umstand und nicht durch seine eigene Hand zur Witwe wurde, würde es für sie keine gemeinsame Zukunft mehr geben.
Liam war nun verlobt. Bei Kerzenschein und Champagner, der den ganzen langen Weg von Frankreich nach New Plymouth geschifft worden war, hatte er um Marina Bellinghouse’ Hand angehalten. Sie war außer sich vor Glück gewesen und wollte am liebsten gleich im nächsten Monat heiraten, doch Liam hatte sich Zeit ausgebeten. Er hasste sich für seine eigene Feigheit, doch er konnte nicht anders. Bevor er endgültig in ein neues Leben aufbrach, musste er das eines anderen Mannes beenden. Thomas Waters musste sterben, und zwar bald. Nur wie? Als er einen Antrag auf eine mehrwöchige Beurlaubung gestellt hatte, hatte sein Vorgesetzter nur amüsiert eine Braue gehoben und abgelehnt. Doch er brauchte diese Zeit. Der Lake Tarapunga, wo Waters Farm lag, war über eine Woche von New Plymouth entfernt, und der Weg dorthin beschwerlich.Wann würde endlich der Zeitpunkt kommen, an dem er weit im Landesinneren seinen Schwur in die Tat umsetzen konnte?
März 1847
Urupuia
A bigail zögerte, dann wickelte sie doch den kleinen, an den Ecken bereits blinden Spiegel aus dem Flachstuch. Die Haut an ihrem Kinn fühlte sich noch rau an, und jede Berührung, auch die sachteste, verursachte ihr Schmerzen.
Ob sie die Person, die sie gleich im Spiegel sehen würde, noch wiedererkannte?
Abigail gab sich einen Ruck und beugte sich vor. So schlimm, wie sie gedacht hatte, war es gar nicht. Tamati hatte die Linien dünn und sehr sorgfältig gestochen. Das Moko gefiel ihr. Die feinen Linien begannen direkt unter ihrer Unterlippe und bildeten zwei symmetrische Kringel. Sie standen für Dion Giles Maunga, ihren kleinen Sohn, der ihr eine schwere Schwangerschaft bereitet hatte. Kleine Verlängerungen, fein wie Farn, symbolisierten ihre neue Heimat und ihre neue Familie. Tamati hatte sich lange mit den Ältesten beraten, um das richtige Motiv für seine Frau zu finden, und Abigail war zufrieden. Erleichtert berührte sie den fremdartigen Schmuck, der sie
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