Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
Antwort war schnell gefunden. » Ja. «
» Du bist ein guter Mann, zu gut für eine Frau wie mich. Spar dir Klinge und Kugel. Ich besitze keine Ehre mehr, die es wert wäre, mit Blut verteidigt zu werden. «
Ihre Worte trafen ihn wie ein Schlag ins Gesicht.
» Ich verstehe nicht. Rede offen mit mir, Marina! Ich könnte dir niemals zürnen. «
Liam legte eine Hand an ihre Wange und drehte ihren Kopf herum. Sie hatte ihre schönen, vollen Lippen zusammengepresst. In den Wimpern glitzerten Tränen. Er widerstand dem dringlichen, aus dem Nichts auftauchenden Wunsch, sie fortzuküssen.
» Du wirst mich hassen. «
» Dich hassen? Das könnte ich nie. «
Liam setzte sich neben sie auf das Sofa. Liebevoll strich er die blonden Strähnen zurück, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatten, und wartete geduldig. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was vorgefallen war. Er wusste nur eines: Heute würde er die Verlobung mit Sicherheit nicht lösen. Das konnte er ihr nicht antun.
Marina richtete sich entschlossen auf und begegnete seinem Blick.
» Ich verstehe, wenn du, nachdem du davon erfahren hast, die Verlobung für nichtig erklärst, nein, ich erwarte es sogar « , sagte sie gefasst. » Doch ich kann nichts mehr an dem ändern, was geschehen ist, so sehr ich es wünschte. Ich habe mich mit einem anderen Mann eingelassen. «
» Bitte, was hast du? « Liam konnte nicht glauben, was sie soeben gesagt hatte, und rückte kurz von ihr ab. Sie hatte sich also tatsächlich in einen anderen verliebt? Sein Gefühl, dass sie sich in letzter Zeit immer weiter von ihm entfernt hatte, war also keine Einbildung gewesen. Kurz überkam ihn Erleichterung. Womöglich kam er einfacher aus der Situation heraus als gedacht.
» Es ist vor sechs Wochen geschehen, als du im Süden warst. «
Marina erzählte ihm alles, und so erfuhr Liam von dem verhängnisvollen Abend, an dem seine Verlobte ihre Unschuld verlor.
Es war bei einem Konzertabend im Hause der wohlhabenden Familie Charlesworth geschehen. Marina war dort, gemeinsam mit gleichaltrigen Damen der gehobenen Gesellschaft, die wieder einmal über sie herzogen. Weil ihre Verlobungszeit mittlerweile über ein Jahr andauerte und noch immer kein Hochzeitstermin feststand, musste sie sich häufig spöttische Bemerkungen gefallen lassen.
Ein Umstand, von dem Liam bis dahin nichts geahnt hatte. Da Marina auf die Vorwürfe und Neckereien nichts zu erwidern wusste, war sie schlussendlich geflohen.
Jeder schien sich köstlich zu amüsieren, und niemand achtete darauf, dass die junge Frau einsam in einer Ecke stand und mehr Champagner trank, als gut für sie war.
» Und dann kam der Sohn der Charlesworth zu mir, Frank. Er war so freundlich. Ich habe gar nicht bemerkt, wie oft er mir ein neues Glas reichte. « Sie schüttelte verzweifelt den Kopf. » Ich habe ihn geküsst, Liam und mehr als das. O Gott, ich fühle mich so schrecklich schmutzig. «
Liam blieben die Worte im Hals stecken, er wollte diesen Frank Charlesworth aufs Schärfste verurteilen und doch, hatte er nicht genau das Gleiche getan? Und Johanna war sogar verheiratet.
» An dem Abend war ich so fest davon überzeugt, dass du mich ohnehin nicht wolltest. Es war wieder einer dieser Briefe gekommen, die du so sehnsüchtig erwartet hast, und ich musste an das Porträt der hübschen Dame in deinem Skizzenbuch denken. Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich habe falsche Schlüsse gezogen. «
Nein, genau die richtigen, dachte Liam geschockt. » Marina… «
» Ich war heute dort, bei Frank Charlesworth. Ich erwarte ein Kind von ihm! Er hat mich nur ausgelacht. Charlesworth ist gebunden. Er wird nichts tun. Er hat gesagt, ich solle mich nach einer Engelmacherin umsehen, wenn ich seinen Bastard nicht will. «
» Das wirst du nicht tun, hörst du? « Er nahm ihre Hände. Mitleid erwachte in ihm, begleitet von einer rasenden Wut auf sich selbst. Er sah sie beschwörend an. » Wir finden eine Lösung, Marina. Wir finden sie gemeinsam. «
» Ja? «
» Versprochen. Aber ich muss nachdenken. Gib mir einen Tag Zeit. «
Sie nickte tapfer, dann ließ er sie allein und hastete aus dem Zimmer.
Aus dem einen Tag wurden zwei, in denen er wie ein ruheloser Geist umherstreifte, ausritt, Spaziergänge unternahm und sich seinen eigenen Dämonen stellte.
Eigentlich trug nicht Marina die Schuld an der Situation, und auch nicht dieser Frank Charlesworth, der das Unglück der jungen Frau nur ausgenutzt
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