Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
kam, ließ sich nicht vertreiben, indem man sich über die Arme rieb.
Liam hätte sie mit einem Blick, einem Wort, oder noch besser, einer Berührung verschwinden lassen können, doch Liam war nicht da.
Die Krieger von Aupikinga stürmten den Hang herauf und gingen hinter der Palisade des ersten vorgelagerten Bollwerks in Deckung.
Johanna zählte einundzwanzig Mann und einige Jungen, halbe Kinder noch. Viele von ihnen waren verletzt. Schweiß und Blut glänzten in der grellen Mittagssonne.
Es wurden Pfeile und Bögen verteilt, die in der Anlage bereitgelegen hatten. Jeder ging auf Position. Offensichtlich gab es Schießscharten direkt über dem Boden.
Johanna erinnerte das alles an die Belagerung ihres Hauses, die mit Tod und Feuer geendet und viel Leid gebracht hatte. Die Kälte in ihrem Inneren wuchs, breitete sich aus wie eine Krankheit. Der Gedanke, alles noch einmal erleben zu müssen, war unerträglich. Sie konnte nichts tun. Nichts, was sie dachte oder sagte, hatte Gewicht. War sie eine Gefangene? Zweifellos kam sie sich so vor. Die Ohnmacht, mit der sie der Situation gegenüberstand, machte sie unsagbar wütend. Stumm wiederholte sie ein kurzes Bittgebet.
» Wir sind hier sicher, Mrs Waters « , sagte Hariata leise und strich ihr über den verkrampften Rücken. Erst durch die Berührung merkte Johanna, dass er schmerzte, weil sie sich so lange hingekauert hatte, und von dem Kind, dessen Gewicht an ihr zog.
Johanna atmete tief durch und verzog den Mund zu einem schmalen Lächeln, mit dem sie Hariata beruhigen wollte.
Plötzlich hallte ein Schrei durch das Tal und ließ Menschen und Tiere verstummen. Es folgte ein weiterer Ruf auf Maori , dannverließ eine feindliche Kriegergruppe das schützende Dickicht.
» Verdammt, warum schießen sie denn nicht? « , ereiferte sich Johanna und zog ihre Pistole aus dem Gürtel, um sich im Notfall selbst zu verteidigen. Hariata hielt ihre Hand mit der Waffe fest.
» Sie haben einen Kaioraora angekündigt! «
» Was? «
» Einen Kriegstanz. Es ist eine Ehre, wenn der Feind einen Kaioraora für seinen Gegner ersinnt. «
Fassungslos sah Johanna zu, wie die Krieger Aufstellung nahmen und sich rhythmisch auf die Oberschenkel zu schlagen begannen. Dabei rezitierten sie laut einen martialisch klingenden Text. Immer wieder brach einer aus der Formation aus, um besonders eindrucksvolle Narben zu präsentieren, die er im Kampf errungen hatte.
Das grausige Schauspiel ließ Johanna gänzlich das Blut in den Adern gefrieren. Bald hegte sie keinen Zweifel mehr daran, dass diese erfahrenen Kämpfer, die dort ihre Tapferkeit zur Schau stellten, die Festung im Nu einnehmen würden. Ihre Zuversicht schrumpfte zu einem winzigen Klümpchen zusammen und schickte ihr aus dem Magen einen säuerlichen Geschmack hinauf. In diesem elenden Kampf ging es nur um Utu und Ehre. Vor zig Generationen, so hatte Tamati erzählt, war die Tochter des Urahns des Häuptlings von Aupikinga entführt worden. Er hatte sich gerächt, indem er den Entführer erschlug, der zufällig der Sohn des gegnerischen Häuptlings war. Seitdem herrschte Krieg zwischen den Stämmen, wobei die Fehde mit immer neuem Blutvergießen am Leben gehalten wurde. Ein endloser Kreislauf, der scheinbar nicht durchbrochen werden konnte, und jetzt steckten sie mittendrin.
Das Ende des Tanzes kam unvermittelt. Die Männer rissen Keulen, Speere und Schusswaffen hoch und stürmten zur ersten Palisade.
Die Verteidiger zögerten nicht. Schüsse krachten, und zwei Krieger brachen im Laufen zusammen. Der Rauch von Schießpulver vernebelte die Sicht. Johanna hörte, wie Pfeile zischend und mit dumpfem Aufschlag ihre Ziele fanden, während andere die Gewehre nachluden. Eine weitere Salve krachte, dann waren die Angreifer zu nah. Die Krieger schlugen wie rasend aufeinander ein, doch keine der Parteien schien einen schnellen Sieg davonzutragen.
Johanna sah gebannt zu. Mittlerweile summte ihr Körper vor Aufregung. Die Schmerzensschreie zerrissen ihr Inneres mit glühenden Fingern. Und immer noch war sie hilflos. Sie war zu weit weg, um einen sicheren Schuss abzugeben. Wenn sie überhaupt in der Lage gewesen wäre, auf einen Menschen zu schießen. Längst war ihr die Waffe aus der Hand gerutscht. Freund und Feind sahen gleich aus.
Als die Sonne den Zenit eine Weile überschritten hatte und noch immer mit gleicher Intensität brannte, wurde der Kampf mit einem Mal unterbrochen.
Das Tor des Pa öffnete sich, und die Helfer strömten
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