Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
irgendeinem Grund aufgewacht. Sie wusste nicht, warum, doch ihr Herz raste wie wild.
Da war doch etwas! Da waren Augen im Wald! Zwischen dem silbrig glänzenden Farn sah sie deutlich mehrere Augenpaare. Das Mondlicht brach sich blass im Weiß der Augäpfel.
Schwacher Wind frischte auf und flüsterte durch den dichten Urwald. Ein Pferd schnaubte laut. Die anderen rissen ihre Köpfe hoch und bewegten sich mit wachsender Unruhe.
Als Johanna daraufhin wieder zu dem Farndickicht sah, waren die unheimlichen Augen fort.
In diesem Moment setzte sich Tamati auf und griff nach seinem Gewehr. Johanna sah zu, wie der Blick des Eingeborenen eine Weile umherschweifte. Dann war er offenbar beruhigt und legte sich wieder hin.
Johanna, die sich die ganze Zeit über nicht bewegt und kaum geatmet hatte, bemerkte erst jetzt, dass sich ein warmer Körper an ihren Rücken schmiegte.
Es war Abigail. Johanna wollte schon von ihr abrücken. Sie hatte außer mit Thomas noch nie mit jemandem solch eine Nähe geteilt. Dann merkte sie, wie gut es ihr tat, an diesem Furcht einflößenden Ort nicht allein zu sein. Eine Weile lag sie noch wach, doch als sie sicher war, dass die gespenstischen Augen nicht wiederkehrten, schlief sie ein.
Die Nacht verging ohne einen weiteren Zwischenfall, und Johanna glaubte schon, sich alles nur eingebildet zu haben, als sie kurz nach ihrem Aufbruch am Morgen die Augen erneut zu sehen glaubte.
Der Pfad war breiter und weit weniger zugewuchert als am Vortag. Schon vor einer Weile hatte Tamati Zeichen dafür entdeckt, dass er vor kurzer Zeit von Menschen benutzt worden war. Mittlerweile hatte auch Johanna mehrfach die Abdrücke nackter Füße ausgemacht.
Die Männer ritten nun mit dem Gewehr in der Hand, und man merkte ihnen ihre Nervosität an.
Johanna begegnete Arthurs Blick. » Bleiben Sie dicht hinter mir, Ma’am. «
Unverzüglich drückte sie ihrer Stute die Fersen in die Flanken und trabte ein kleines Stück, bis die Nüstern des Tieres den schlagenden Schweif von Arthurs Kaltblut berührten.
Genau in diesem Augenblick geschah es. Der Waldweg wurde breiter, und die undurchdringlichen Farne gebaren plötzlich eine Horde von Männern. Abigail schrie.
Arthur riss sein Pferd herum, doch sie waren bereits umzingelt. Die Maori-Krieger, bis an die Zähne bewaffnete, wilde Gestalten, stimmten ein lautes Kriegsgeheul an.
» Nicht schießen, nicht schießen! « , schrie Tamati.
Arthur richtete sein Gewehr mal auf den einen, mal auf den anderen Kämpfer.
Johanna war wie erstarrt. Nur ihre Hände schienen noch zu wissen, was sie taten, hielten ihre Stute ruhig, zwangen dasTier, eng im Kreis zu gehen, damit es nicht kopflos davonlief.
Die Krieger trugen Röcke und Umhänge aus Bast. Wo ihre Haut bloßlag, entdeckte Johanna hier und da geheimnisvolle Zeichen, die sie auch bei Tamati schon gesehen hatte. Doch was sie am meisten ängstigte, waren die großen Prügel und Gewehre, die die Wilden drohend gegen sie erhoben.
Zum ersten Mal fragte Johanna sich, ob Tamati wirklich auf ihrer Seite stand. Ihr Ehemann würde ihn bei ihrer Ankunft für seine Dienste bezahlen, aber was war der magere Lohn gegen den Reichtum, den sie mit sich führten? Sie waren alle in seiner Hand. Warum sollte ausgerechnet ein gottloser Wilder sie beschützen?
Nein, in diesem Moment war sie sich sicher. Ihr Schicksal war besiegelt. Sie waren ihm in die Falle gegangen!
Arthur teilte ihre Gedanken offenbar und schien sich nicht entscheiden zu können, ob er sein Gewehr auf Tamati oder einen anderen der über zwanzig Maori richten sollte.
Tamati rief einem älteren Krieger, der gleich mehrere Jadeanhänger um den Hals trug, etwas zu und sprang vom Pferd.
» Keinen Schritt weiter! « , brüllte Arthur, doch Tamati ignorierte ihn, ebenso wie das Gewehr, das nun auf ihn gerichtet war. Der leicht ergraute Maori war offenbar der Anführer der Gruppe. Während er mit Tamati sprach, gestikulierte er zu den Frauen und den schwer beladenen Kisten.
Wahrscheinlich verhandelt er gerade unseren Preis, dachte Johanna bitter, doch dann geschah das Unfassbare. Tamati nickte, wie auch der Fremde, und schwang sich wieder auf sein Pferd.
Die Krieger setzten ihren Marsch fort.
Nur zögernd sicherte Arthur seine Waffe und hängte sie sich wieder über den Rücken.
» Unsere Familien hegen keine Feindschaft « , erklärte Tamati lapidar. » Einst sind unsere Ahnen auf dem gleichen Kanu aus Hawaiki nach Aotearoa gekommen. Reiten wir weiter. Wir müssen
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