Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
«
Tamati räusperte sich, legte Holz nach und sah sie an.
» Auf einem Walfänger, der Destiny’s Child. Als ich zwölf Jahre zählte, nahmen sie mich mit. Wir sind weit gefahren, ich habe viele Häfen gesehen, New York, Amsterdam. Alle die Orte, an denen wir gute Käufer für Barten und Tran fanden.
Ich habe als Küchenjunge angefangen, und als ich sieben Jahre später heimkehrte, war ich zweiter Harpunier. «
Abigail mochte gar nicht glauben, dass ein Wilder so weit gereist und in so berühmten Städten gewesen war und jetzt trotzdem in seiner merkwürdigen Kleidung am Feuer saß und einen Vogel briet, den er mit Pfeil und Bogen erlegt hatte.
» Warum bist du zurückgekommen? «
» Mir gefiel die Arbeit nicht mehr. Die Maori jagen auch Wale, aber nicht so. Als ich zurück war, erfuhr ich vom Tod meines älteren Bruders. Tupori starb an Rewharewha, der Krankheit der Pakeha, wie so viele. Mein Vater hatte keinen Nachfolger. Ich beschloss zu bleiben. «
» Das mit deinem Bruder tut mir leid. «
Tamati nickte und richtete den Blick kurz in die Ferne.
» Ich sehe ihn in Hawaiki, wie all meine Ahnen. «
Im Tal des Windes
D ie Luft war schwer vom würzigen Duft frisch geschlagener Hölzer. Der Rhythmus zahlreicher Hämmer verband sich zu einer wilden Kakophonie und hallte weithin über den See.
Heute wurde das Dach der Fabrik mit Schindeln aus Warzeneibenholz gedeckt. Thomas verspürte eine ungemeine Freude. Seit dem Morgen hatten sie schon fast ein Drittel geschafft, und gerade hievten die Männer ein neues Bündel mithilfe einer kleinen Seilwinde nach oben.
Das Wetter war gut. Nur an den Bergen hingen ein paar Wolken, drückten sich weich dagegen. Perfekte Arbeitsbedingungen, da konnten sie heute Abend zur Vollendung dieses Bauabschnittes ein Fest feiern. Er selbst hatte eines der verwilderten Schafe geschossen, die er mit dem Land vom Vorbesitzer übernommen hatte. Als nun ein Reiter am Seeufer entlanggaloppierte und etwas Weißes schwenkte, machte Thomas’ Herz einen aufgeregten Hüpfer. Ein Brief von Johanna, das würde diesem Festtag die Krone aufsetzen.
» Mr Waters, Thomas Waters! « , rief der Reiter, entdeckte ihn und zügelte sein verschwitztes Pferd. Es war ein junger Maori in einem verschlissenen Baumwollhemd, aus dem Nachbarort Urupuia. Seine langen nackten Beine hingen weit über den Bauch des Pferdes. Als er seine kostbare Fracht überreichte, rutschte ihm die Machete nach vorn, die er sich an einem Lederriemen über den Rücken gehängt hatte. Ein geschnitzter Holzprügel vervollständigte die martialische Bewaffnung.
Thomas waren diese Wilden zuwider. Allesamt heimtückisch. Er drückte dem Boten etwas Geld in die Hand, nahm das Bündel Briefe entgegen und hieß ihn mit einer Geste zu verschwinden. Als der Reiter sein müdes Tier wendete und schnalzend antrieb, hatte Thomas bereits die Schnur geöffnet, die die Briefe zusammenhielt. Er ging sie hastig durch.
Keiner von Johanna, stellte er enttäuscht fest, aber einer, der an sie adressiert war. Die Absenderin war eine gewisse Lady Warington, die ihm nur flüchtig bekannt war. Das verwunderte ihn. Warum schrieb sie Johanna nach Neuseeland? Wusste sie nicht, dass die Reise verschoben worden war? Hatte seine Nachricht London am Ende gar nicht erreicht, oder war sie zu spät eingetroffen? Hoffentlich war Johanna noch nicht aufgebrochen.
Plötzlich hatte er ein ungutes Gefühl, und Zweifel begann an ihm zu nagen. Die gute Stimmung von eben war einer inneren Ungewissheit gewichen.
Thomas zögerte kurz, dann riss er den Umschlag auf.
Es war eine kurze Notiz:
» Schreckliche Nachrichten, Mrs Waters. Es fällt mir schwer, Ihnen diese Zeilen zu schreiben. Ich muss immer wieder innehalten, die Trauer überwältigt mich. Mein guter Freund Duncan Fitzgerald ist ermordet worden. Und als sei das noch nicht schlimm genug, sitzt sein von allen geschätzter Bruder Liam aufgrund eines miesen Komplotts unschuldig im Tower. Ich habe eine Weile gewartet, war unschlüssig, ob ich Ihnen, jetzt, da Sie verheiratet und weit fort sind, überhaupt schreiben soll; doch die Wahrheit müssen Sie erfahren.
Seien Sie zuversichtlich. Verlässliche Freunde bemühen sich Tag und Nacht, Liam freizubekommen. Wir sind hoffnungsvoll, dass es bald so weit sein wird. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihr neues Leben und hoffe, wir bleiben in Briefkontakt. Beigefügt ist eine Nachricht von Liam an Sie. «
Thomas hätte am liebsten geschrien vor Wut. Mit bebender Brust
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