Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
rief Arthur und zog sein Gewehr von der Schulter.
Johanna hatte ausnahmsweise kein Bedürfnis zu widersprechen. Ihre Stute suchte wie von allein die Nähe der anderen Pferde.
» Gibt es hier gefährliche Tiere? «
Der ewig schweigsame Tamati drehte sich auf seinem Pferd zu Johanna um. Er verzog sein Gesicht, sodass sie glaubte, zwischen den Tätowierungen so etwas wie ein Grinsen zu erkennen.
» Keine gefährlichen Tiere, Ma’am. Gefährliche Menschen und Geister. « Er wurde ernst. Seine Augen glänzten unheimlich zwischen den Mustern und Spiralen. » Das sind heilige Wälder, die Kauri-Bäume sind unantastbar. Die Geister sind zornig. Die Pakeha -Siedler rauben ihre Seele, ihr Taonga, und geben nichts zurück, das ist nicht gut « , sagte er leiser und trieb sein zögerndes Pferd an.
Johanna schauderte und zog ihr Wolltuch fester um die Schultern. Im finsteren Schatten der Bäume hatte die Sonne keine Chance, und die Temperatur war so frostig wie ihre Gedanken. Gefährliche Menschen, na großartig! An erzürnte Geister wollte sie erst gar nicht denken. Das klang zu sehr nach den Geschichten aus Afrika, die ihr Vater früher immer erzählt hatte, um ihr Angst zu machen.
Diese Wilden sind nicht bekehrt, ermahnte sie sich. Wer wusste schon, an was für Teufel sie ihre Seele verkauft hatten?
Oh, wie sehr wünschte sie sich mittlerweile, anzukommen und endlich mit Thomas eine gemeinsame Zukunft zu planen. Falls er tatsächlich auf sie wartete. Fast jede Nacht träumte sie davon, anzukommen und von ihm wieder fortgeschickt zu werden. Die zweite Variante war noch viel schlimmer. Dann fand sie nur noch seine Leiche, die schon halb verrottet war. Zugleich schlich sich Liam immer wieder in ihre Gedanken. Nach wie vor fragte sie sich, warum er damals ohne ein Wort verschwunden war. Sein Erscheinen bei der Hochzeit gab ihr Rätsel auf, doch eines, das sie in ihrem Leben nicht mehr würde lösen können. An ihn zu denken tat weh, doch langsam wurde es besser. Sie konnte ihn nicht vergessen, aber sie machte ihren Frieden mit ihm. Was auch immer Liam davon abgehalten hatte, ihr Lebewohl zu sagen, sie hatte ihm verziehen. Wahrscheinlich war ihnen auf diese Weise erspart geblieben, einander die Wahrheit ins Gesicht zu sagen und sich noch mehr wehzutun.
Sie würde Liam im Herzen tragen und mit Gottes Hilfe zugleich versuchen, Thomas Waters eine gute Ehefrau zu sein und ihn irgendwann vielleicht sogar zu lieben.
Es war merklich dunkler geworden, und schon vor einer Weile hatte Arthur angekündigt, dass sie nun bald ein geeignetes Nachtlager finden mussten. Heute würden sie zum ersten Mal im Freien schlafen. Bislang war der Boden ein einziger Morast. Jedes Mal, wenn die Tiere die Beine hoben, erklang ein schmatzendes Geräusch. Johanna mochte sich gar nicht vorstellen, wie sie auf diesem Boden schlafen sollte.
Tamati rief etwas. Arthur schloss zu ihm auf und drehte sich mit einem Lächeln zu den Frauen um.
» Wir sind da, hier werden wir rasten. «
» Wo? « Dann sah auch Johanna, was die Aufmerksamkeit der Männer erregt hatte.
Licht fiel durch eine Lücke im Blätterdach. Zum ersten Mal, seitdem sie den Wald betreten hatten, konnte Johanna ein Stückchen Himmel durch das dichte grüne Gewirr über ihren Köpfen erblicken.
Ein umgestürzter Baum hatte eine Schneise in die Vegetation gerissen und damit eine Lücke im grünen Chaos geschaffen.
Johanna war davon überzeugt, in dieser Nacht nicht schlafen zu können, wenngleich sie schrecklich müde war.
Es fiel ihr schon schwer, überhaupt vom Pferd zu steigen. Ihr ganzer Körper tat weh, und es fühlte sich an, als seien ihre Fußgelenke krumm, weil sie ihre Füße so lange in den Steigbügeln gehabt hatte.
Star schüttelte sich und schnaubte erleichtert, als sie vom Gewicht ihrer Reiterin befreit war.
Johanna sah unschlüssig auf den Sattel. Sie hätte es dem Tier gerne leichter gemacht, doch die verschiedenen Schnallen und Riemen bereiteten ihr Kopfzerbrechen. Sie hatte noch nie ein Pferd gesattelt.
Plötzlich fühlte sie sich entsetzlich dumm.
Entschlossen, dieser Hilflosigkeit ein Ende zu machen, rief sie sich die vielen Male in Erinnerung, die sie dem Stallburschen zugesehen hatte.
Arthur und der unheimliche Maori waren mit den Packpferden beschäftigt, Abigail schleppte Ausrüstung zu der als Lagerplatz auserkorenen Stelle, die etwas erhöht lag und damit trocken war. Niemand würde sehen, wenn etwas schiefging, und sich dann hinter ihrem Rücken über sie
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