Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
noch im Hellen zur Berling-Farm kommen, die Pakeha dort sind misstrauisch. «
Nach einem anstrengenden Tagesritt hatten sie die Farm der Familie Berling rechtzeitig erreicht. Johanna hatte das einzige Gästezimmer erhalten, während die anderen mit der Scheune vorliebnehmen mussten. Tamati war direkt nach ihrer Ankunft verschwunden.
Abigail war froh, allein zu sein. Arthur saß seit einer kleinen Ewigkeit im Haus des Bauern beim selbst gebrannten Schnaps. Hoffentlich würde er über seiner Sauferei einschlafen, gleich dort am Tisch.
Die Vorstellung, ihm nachts zu begegnen, wenn er getrunken hatte, machte ihr Angst. Denn schon am Tag schien er sie mit jedem Blick an das grauenhafte Versprechen erinnern zu wollen, das sie ihm auf dem Schiff gegeben hatte. Ihren Körper für ihre Freiheit. Was ihr zuerst als hoher, aber erträglicher Preis erschienen war, wurde mit jedem Tag unvorstellbarer. Sie würde es nicht tun! Niemals! Arthur ahnte nicht, dass sie ihre Meinung geändert hatte.
Ein Grund mehr, ihr kleines Messer immer bei sich zu tragen. Auch jetzt, da sie auf einem Melkschemel vor dem Stall saß und im Licht einer kleinen, rußenden Tranlampe ihren Rock ausbesserte.
Während ihre Hände präzise Stich um Stich setzten, drifteten ihre Gedanken ab, sie dachte an ihre Heimat Irland.
Dort war es nun Herbst. Ein weiterer Winter stand Vater und Mutter bevor. Die Feldarbeit war beendet, doch das bedeutete nicht, dass sie Zeit hatten, sich auszuruhen. Jetzt rief der Verwalter zum Frondienst. Die Pächter schindeten sich für nichts und wieder nichts. Abigail überlegte, was ihren Eltern wohl dieses Jahr bevorstand. Sich vorzustellen, wie ihr alter Vater Steine für neue Mauern schleppte, ihre Mutter Straßengräben aushob oder für den Verwalter eine neue Scheune baute, während an ihrer eigenen, rußverschmutzten Hütte dasDach aufgrund des Regens verfaulte, schnürte ihr die Kehle zu.
Sie hatte es ungleich besser getroffen. In einem neuen Land, ohne Frondienst, mit einem vollen Magen und einer Herrin wie Johanna Waters, davon hätte sie in Irland nicht einmal zu träumen gewagt.
Abigail fühlte sich wie eine Verräterin. Sie hatte ihre Familie im Stich gelassen. Jetzt hing alles an Peter, doch ihr Bruder hegte einen derart großen Hass auf die Oberschicht, dass sie fürchtete, dass er früher oder später eine Dummheit begehenund wie sie im Gefängnis landen würde. Nur gäbe es für ihn dann keinen Ausweg mehr. Er würde im Gefängnis dahinsiechen oder zur Zwangsarbeit in die Kolonien geschickt werden.
» Au, verdammt! « Abigail schüttelte die Hand. Sie hatte sich in den Finger gestochen, und nun war ihr auch noch die Nadel heruntergefallen.
Sie legte das Nähzeug zur Seite, um im Schein der rußenden Tranlampe nach der Nadel zu suchen. Der Boden vor der Scheune war zum Glück trocken, doch überall lagen Spreu und Grashalme herum. Irgendwo in der dicken Schicht versteckte sich jetzt auch ihre Nadel. Es war die vorletzte, sie musste sie finden.
Seufzend begann Abigail mit der flachen Hand über den Boden zu streichen, notfalls pikste sie sich eben noch einmal in den Finger, Hauptsache, sie fand die Nadel.
Plötzlich schlug der Hofhund an. Im gleichen Moment blitzte das dünne Metall im Lichtschein auf. Abigail griff triumphierend nach ihrem Fundstück und sah auf. Der Hund zerrte an seiner Leine und stimmte ein aufgeregtes Jaulen an.
Da kam jemand oder etwas.
Sie erhob sich und verdeckte mit der Linken die Lampe, damit sie besser in die Dunkelheit spähen konnte.
Eine einsame Figur überquerte die Weidefläche hinter dem Haus. In der Ferne reckte sich der Wald als zackige schwarze Linie über den Horizont.
» Scht, sei still « , beruhigte sie den Hund und strich über das aufgestellte Rückenfell, bis es sich glättete.
Der Mann, der dort mit lautlosen Schritten und federndem Gang auf sie zukam, war kein Fremder. Sie erkannte Tamati sofort. So geschmeidig und stolz hatte sie nie zuvor einen Menschen gehen sehen. Selbst seine dunkle Silhouette war eindrucksvoll.
Am Abend hatte er sein Gewehr zurückgelassen und war nur mit Pfeil und Bogen in den Wald aufgebrochen. Offensichtlich war seine Jagd erfolgreich gewesen. Er trug ein dickes zappelndes Bündel bei sich.
Als er sie bemerkte, glaubte sie ihn lächeln zu sehen. Er hielt ihr das Bündel hin.
» Ein Festessen! «
Abigail musste sich zwingen, den Blick von seinen strahlenden Augen auf die Vögel in seiner Hand zu richten. Sie hob die Lampe
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