Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
weit weg, und sie musste dieses Kapitel abschließen, auch wenn es noch so schmerzte, denn so wie es aussah, würde sie nie wieder zurückkehren. Dies war Neuland, ihr Land, ihr Heim und ihre Zukunft. Sie konnte entweder der Vergangenheit hinterher trauern und sich grämen oder neu beginnen.
Ein neues Leben. Die Vorstellung, nicht in die Scheinwelt der vornehmen Londoner Gesellschaft zurückkehren zu müssen, gefiel ihr allmählich. Johanna Lucia Chester, eine Schafzüchterin in Neuseeland, wer hätte das gedacht.
Nein… nicht Chester, Waters. Sie war jetzt eine Waters.
Die Ohrfeige konnte sie Thomas nicht so schnell verzeihen. Aber wenn sie sich andererseits vorstellte, wie es ihr an seiner Stelle ergangen wäre, wenn sie auf ihren Ehemann gewartet und dessen Geliebte Briefe geschrieben hätte, die vor ihm ankamen, ahnte sie, warum er die Nerven verloren hatte.
Sie hätte dennoch gerne gewusst, wie es Liam erging. Auch jetzt empfand sie einen bitteren Schmerz, wenn sie an ihn dachte, doch auch das würde mit der Zeit vergehen. Sie sollte, musste ihn vergessen!
Thomas hatte Besseres verdient. Sie musste versuchen, mit ihm zu leben, irgendwie. Es war ihre Pflicht vor Gott, ihm eine gute Ehefrau zu sein, eine andere Wahl hatte sie nicht. Ihr war klar geworden, dass ihr Groll vielleicht berechtigt war, helfen würde er ihr nicht. Der Spalt, der zwischen ihnen existierte, durfte nicht weiter aufklaffen. Sie musste versuchen, ihn zu schließen, auch wenn es an ihrem Stolz kratzte, denn sie musste hier überleben, mit ihm. Es war Zeit, zur Fabrik zu reiten und mit Thomas zu reden.
Während Abigail die Pferde sattelte, packte Johanna in der kleinen Küche ein wenig Proviant zusammen. Essen als Friedensangebot. Duftendes Brot, das die Irin aus dem wenigen vorhandenen Mehl gebacken hatte, ein Töpfchen mit gekräutertem Schafsfrischkäse und Trockenwurst. Sie schlug alles in ein sauberes Tuch ein.
Entlang eines munter plätschernden Flüsschens ging es ins Tal hinab. Die Frauen mussten dem Gewässer nur immer weiter folgen, dann würden sie zur Baustelle von Thomas’ Sägewerk kommen, so hatte es der Botenjunge beschrieben. Die Pferde schritten munter aus und folgten dem breiten Trampelpfad fast von allein. Johanna hatte nun endlich Gelegenheit, ihre neue Heimat zu betrachten.
Die Wiesen stiegen zu beiden Seiten wie sanft rollende Wellen an. In jeder Falte des schier endlosen Grüns floss ein kleiner Bach, gesäumt von Farn und kleinen gelb blühenden Büschen, die seit der Rodung neu gesprossen waren. Die Stümpfe der Bäume, die hier einst wohl das gesamte Gebiet bedeckt hatten, ragten aus dem Boden hervor.
» Da sind wieder drei! « , rief Abigail aus und wies den Hang hinauf. Johanna folgte ihrem Fingerzeig, und entdeckte drei weiße Punkte– Schafe, die nah am Waldrand grasten. Einer bedrohlich aufragenden Wand aus Bäumen, Gestrüpp und Farn, die Johanna so bald nicht mehr freiwillig betreten würde.
» Wie viele hast du bislang gesehen? «
» Fast vierzig! Eine ganz ordentliche Herde, aber hier ist genug Platz für fünfmal so viele! « , lachte Abigail. » Und jetzt beginnen sie erst zu lammen. Bei dem guten Futter bekommen sicher fast alle Zwillinge! «
Johanna runzelte die Stirn.
» Und wie fangen wir sie ein? «
» Das schaffen wir schon, aber es wird eine Heidenarbeit. Am besten wäre es, wenn wir einen Hund hätten, so müssen wir selber die Hänge hinaufklettern. In Irland haben wir immer alle Kinder in der Siedlung losgeschickt, das war ein großer Spaß. «
Sie ritten weiter und sichteten noch eine Gruppe von sechs Tieren, dann verwandelten sich die Wiesen zunehmend in steinige Hänge, die immer enger wurden und wohl vor langer Zeit einmal ins Rutschen gekommen waren. Sie bildeten einen natürlichen Abschluss des kleinen Tals.
Die Pferde erklommen eine kleine Erhebung, und Johanna glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Vor ihr lag eine weitere Fläche sanfter grüner Hügel, und dahinter breitete sich eine gewaltige Wasserfläche aus, der Lake Tarapunga. In der Ferne erhob sich ein schroffes bewaldetes Hügelland, das sich in den tief hängenden Wolken verlor.
Ein großes helles Holzgebäude dominierte das Seeufer, dessen Blechschornstein beständig eine dicke schwarze Rauchwolke in den Himmel spie.
Daneben türmten sich gewaltige Stämme. Männer liefen geschäftig umher, und die Pferde, die sie den ganzen weiten Weg aus England hergebracht hatten, zogen die Bäume aus dem Wasser und zur
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