Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
Berg verwandelt worden war und sich nun vor Traurigkeit in einen Schleier hüllte, oder von einem stolzen Krieger, der die Wolken als Tarnkappe nutzte. Auf der Reise hatte er am abendlichen Lagerfeuer hin und wieder die Mythen seines Volkes heraufbeschworen. Sie waren untrennbar mit Natur und Landschaft verbunden.
» Gefällt es dir hier? « , fragte Thomas nach einer Weile und drückte liebevoll ihre Hand. Seine Hand war voller Schwielen und Ruß, nicht mehr weich und sauber wie in London.
» Der Tarapunga ist wunderschön. «
» Das freut mich, Johanna. Glaub’ nicht, dass du in der armseligen Hütte im Tal wohnen musst. Ich baue dir einen Palast, gleich hier am Wasser. «
Er streckte den Arm nach Norden aus und wies auf eine Anhöhe am Waldrand, wo zwei gewaltige Bäume mit runden Kronen aufragten. Johanna erkannte sie. Es waren Pohutukawa, nach Tamatis Aussage blühten sie im neuseeländischen Sommer wunderschön rot. Sie konnte es sich jetzt schon genau ausmalen. Ihr schmuckes Häuschen unter den Bäumen am See.
» Ich brauche keinen Palast, Thomas « , sagte sie lächelnd.
» Sobald das Sägewerk läuft, fangen wir an zu bauen, das erste Haus ist unseres. Schau nur, wie viel Wald es hier gibt, das ist gutes Holz, Buchen und Kahikatea, es ist eine Art weiße Pinie, die anderen kenne ich nicht mal. Aber es sind gerade gute Bäume. Wir roden sie, die Stämme transportieren wir über das Wasser. Entlang des Whanganui liegen einige Siedlungen, und es werden beständig mehr. Es ist ein guter Absatzmarkt. Bald sind hier überall Wiesen, und all das gehört uns. «
Johanna war mehr fasziniert von Thomas’ grenzenloser Begeisterung als von der Vision selbst. In London hatte sie ihn immer als leidenschaftslos und ein wenig kalt empfunden. Neuseeland hatte ihn verändert, und zwar auf eine Art, die ihr gefiel.
» Du wirst sicher die meiste Zeit bei deinem Sägewerk sein « , sagte sie vorsichtig. Er drehte sich zu ihr um, und sie sah den Glanz aus seinen Augen schwinden.
» Ja, aber das wird nicht immer so sein. Sobald sich alles eingespielt hat, wird Arthur… «
» Thomas, ich habe einen Wunsch. «
» Was denn? Soweit es in meiner Macht steht, will ich dir jeden Wunsch erfüllen. «
» Ich habe überlegt, was ich hier tun könnte. Das Tal ist nicht gerade London. Gäste werden wir wohl nicht so oft haben. «
» Nein, es tut mir leid « , erwiderte Thomas betreten. » Und die Aufgabe, uns ein schönes Heim einzurichten, erledigst du in der kleinen Hütte binnen eines Tages. Außerdem ziehen wir bald um. « Thomas sah zu dem ausgewählten Bauplatz und schien das Haus dort bereits sehen zu können.
» Abigail meint, die halbwilden Schafe würden viel Geld bringen, wenn man es richtig angeht. «
» Was? « Seine Mundwinkel zuckten.
» Das Land ist perfekt, sagt sie, und die Tiere bekommen bald ihre Jungen. Wenn die Wolle teuer ist, wäre es doch schade, sie einfach so verwildern zu lassen. «
» Ich glaube es nicht. Meine vornehme Ehefrau will Schafe züchten. «
Johanna zögerte. Als die Irin den Wunsch vorgetragen hatte, wollte sie ihr diesen gerne erfüllen. Und es schien eine gute Idee zu sein. Sie wollte etwas zum Wohlergehen ihrer kleinen Familie beitragen. Thomas schien alles falsch zu deuten.
» Ich verstehe davon nichts. Aber Abigail. Sie würde…! «
Thomas schüttelte ungläubig den Kopf, dann konnte er sich nicht mehr halten und lachte schallend.
» Du wusstest vor einem halben Jahr doch nicht einmal, wie ein Schaf aussieht! «
Das reichte. So schnell wie die Nähe entstanden war, war sie auch schon wieder dahin.
» Ich muss mir deinen Spott nicht anhören, Thomas Waters! So eine Behandlung habe ich nicht verdient. « Johanna sprang auf, verhedderte sich beinahe in ihrem Kleid und lief einige Schritte am Ufer entlang. Heftig atmend blieb sie stehen und starrte auf die sich leise kräuselnden Wellen.
Er folgte ihr. Seine Schritte knirschten im feinen Uferkies, doch Johanna drehte sich nicht um.
» Ich verspotte dich nicht, es ist nur eine etwas merkwürdige Idee, für eine feine, adelige Dame aus der Londoner Oberschicht, meinst du nicht? Stell dir vor, eine deiner Freundin hätte diesen Wunsch geäußert. «
Das brachte auch Johanna zum Schmunzeln.
» Aber die sind jetzt nicht hier. Teekränzchen und Opernbesuch fällt bis auf Weiteres aus, und Bücher gibt es hier wohl auch nicht… Du kannst doch nicht wollen, dass sich deine arme Frau zu Tode langweilt. Außerdem wird Abigail den
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