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Im Tal des Windes: Roman (German Edition)

Im Tal des Windes: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Windes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Maly
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Fabrik.
    Das war also Thomas’ Sägewerk. Johanna kam sich plötzlich gar nicht mehr so weit weg von der Zivilisation vor.
    Drei Wochen lang war sie nur mit Abigail, Arthur und dem schweigsamen Tamati durch die Wildnis gezogen, und nun sah sie auf dieses geschäftige Treiben hinab. Am Ufersaum hinter der Fabrik stand ein knappes Dutzend kleiner, roh gezimmerter Hütten, in denen die Arbeiter wohnten.
    Zweifelnd musterte sie ihr abgewetztes rostfarbenes Reisekleid, das beste, das sie noch besaß. Die hellen Säume würden wohl niemals mehr sauber werden, und ein Glätteisen konnte die ausgerissene Spitze auch nicht mehr retten.
    Plötzlich musste Johanna über sich selber lächeln und trieb ihre Stute mit einem kurzen Schnalzen an. Das hier war nicht London. Es gab keine feine Gesellschaft und offensichtlich nicht einmal Frauen, die sich das Maul über ihre unpassende Aufmachung zerreißen konnten.
    Noch ehe sie die Hälfte der Strecke zum Ufer zurückgelegt hatten, bemerkten die Arbeiter sie und begannen anzüglich zu pfeifen. Der erste schrille Ton ließ Johanna zusammenzucken, und von da an starrte sie konzentriert auf die zuckenden Ohren ihrer Stute und hoffte, dass Thomas den Aufruhr hören und die Männer zur Raison rufen würde. Doch er kam nicht.
    » Die haben wohl seit Jahren keine Frau mehr gesehen « , feixte Abigail, der die Aufmerksamkeit offenbar nichts ausmachte. Die Arbeiter schienen Vagabunden und Abenteurer aus Europa zu sein. Iren, Deutsche und Franzosen, die die Hafenschenken der Welt bevölkerten. Vielleicht hatte Thomas sie dort angeworben.
    Als ein sehniger Mann mit pockennarbigem Gesicht Abigail aufzuhalten versuchte, versetzte die resolute Irin ihm kurzerhand mit dem Stiefel einen Tritt gegen die Schulter und ritt lachend weiter.
    Es war schließlich der Maori-Krieger Tamati, der dem Spuk ein Ende bereitete. Sobald er das Sägewerk verließ und seine eindrucksvolle Gestalt mit den vielen Tätowierungen den Provokateuren zuwandte, stellten diese die anzüglichen Rufe ein und setzten ihre Arbeit fort. Der Maori stand zwar nicht über ihnen, dennoch wollte sich keiner mit dem Hünen anlegen.
    » Diese Männer sollten sich schämen! « , sagte er ernst und trat zur Betonung seiner Worte kräftig mit dem Fuß auf.
    » Ist Mr Waters nicht da? «
    » Doch. Er ist bei seiner Dampfmaschine und spricht mit ihr. Er wird sich freuen, seine hübsche Frau zu sehen. «
    Johanna lächelte über Tamatis Ausdrucksweise. Der Maori-Krieger hat sicher noch nie zuvor in seinem Leben eine Dampfmaschine gesehen, dachte sie. Mittlerweile fürchtete sie ihn nicht mehr. Ihre Stute war sogar regelrecht vernarrt in Tamati und begrüßte ihn mit einem leisen Schnauben, als er Johanna die Zügel abnahm.
    » Ich warte hier draußen « , sagte Abigail, als Johanna sich auf den Weg zum Sägewerk machte. Sie wandte sich irritiert um und bemerkte, wie schon einige Male zuvor, den strahlenden Blick, den die Irin Tamati zuwarf. Es schien tatsächlich so, als hätte sie sich in den Wilden verliebt.
    Johanna betrat das Sägewerk.
    Thomas zu finden war nicht schwer. Stickig und warm staute sich die Luft. Der Geruch exotischer Harze reizte die Lunge und drang in den Hals. Mit einem kurzen Blick erfasste Johanna den Aufbau der Anlage. Sie verstand die Funktion zwar nicht zur Gänze, doch da die Riemen, die die große Säge antrieben, in einem Loch in der Wand auf der Rückseite des Gebäudes verschwanden, nahm sie die Tür zum Hof.
    Die Dampfmaschine war klein, im Vergleich zu den Maschinen, die sie in Thomas’ Fabrik in London gesehen hatte. Der Lärm, den sie machte, stand den riesigen Stahlkolossen allerdings in nichts nach.
    Thomas stand gemeinsam mit einem Arbeiter bei der Maschine und sah diesem dabei zu, wie er das Gerät mit Kohle befüllte, die sich auf der rechten Seite zu einem fast mannshohen Haufen türmte.
    Eine Weile stand sie nur da und beobachtete ihren Ehemann. Es faszinierte sie, mit welch einer Leidenschaft er an diese Sache heranging. Thomas gestikulierte, dachte nach und unterstrich seine Anweisungen, indem er dem Mann herzhaft auf die Schulter klopfte.
    In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie ihn vermisst hatte. Weniger als Liam sicherlich, und auf eine ganz andere Art. Er war für sie in den vier gemeinsamen Monaten ihrer Ehe zum Vertrauten geworden. In London hatte er sie hin und wieder herablassend, aber ansonsten sehr gut behandelt. Er liebte sie aufrichtig, und dieses kostbare Gefühl verdiente ihre

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