Im Taumel der Herzen - Roman
wiederzuerkennen. Ich war völlig hingerissen von ihr und gab mein Bestes, um sie zu verführen. Beinahe wäre sie mir erlegen, weil sie sich ebenfalls zu mir hingezogen fühlte.«
»Richard, hör auf , ihm intime Details zu erzählen!«, protestierte Julia erneut.
Er ignorierte sie zwar nicht ganz, sondern beugte sich für einen Moment zu ihr hinüber, um sie mit einem Kuss auf die Wange und einem »Schsch!« zu beruhigen, fuhr dann jedoch unbeirrt mit seiner improvisierten Erzählung fort: »Es war für uns beide ein Schock, als wir uns schließlich doch wiedererkannten, und wie Julia bereits gesagt hat, gingen wir im Zorn auseinander. Durch pure Ironie des Schicksals brachtest du uns dann wieder zusammen und warst zudem für die starken Gefühle verantwortlich, die uns übermannten – Erleichterung und Dankbarkeit, aber auch Wut, wobei wir Letztere ausnahmsweise nicht aufeinander empfanden, sondern auf dich. Tja, so führte eins zum anderen, und die gegenseitige Anziehung, die wir zunächst verspürt hatten, gewann wieder die Oberhand.«
»Mein Gott«, stimmte sie verwundert ein, »er ist tatsächlich
dafür verantwortlich, nicht wahr? Wir hätten uns nie wiedergesehen, wenn ich mich nicht verpflichtet gefühlt hätte, dich zu retten.«
Richard lachte sie an. Offenbar wirkte sie entsprechend ehrfürchtig, denn Richard brachte es fertig, hinzuzufügen: »Du brauchst dich meinem Vater deswegen nicht verbunden zu fühlen – wirklich nicht, mein Liebling! Aber falls es immer noch dein Wunsch ist, hier zu heiraten, werde ich es vermutlich schaffen, ein paar Wochen unter diesem Dach zu verbringen, während du alle nötigen Vorbereitungen triffst, damit wir unsere große Hochzeit feiern können.«
35
D as junge Hausmädchen, von dem Julia auf ihr Zimmer geführt wurde, hätte den Raum am liebsten sofort sauber gemacht. Es jammerte, es hätte nicht gewusst, dass Gäste kämen, und daher keine Gelegenheit gehabt, rechtzeitig ein Zimmer herzurichten. Julia scheuchte das Mädchen hinaus und bat es, später wiederzukommen und zu putzen, wenn sie sich nicht mehr in dem Raum aufhielt. Sie wollte unbedingt einen Moment allein sein, um nach dem nervenaufreibenden Gespräch mit dem Grafen in Ruhe ein wenig vor sich hin zu zittern.
Sobald sich die Tür schloss, ließ sie sich auf das Bett fallen, wirbelte dabei aber so viel Staub auf, dass sie sich sofort wieder aufsetzte und erst einmal eine Minute hustete und nieste. Das mit dem Zittern hatte sich damit erledigt. Julia musste fast lachen, als ihr Blick auf ihre Fußabdrücke fiel, die auf dem staubigen Hartholzboden ganz deutlich zu sehen waren.
Sie hatte nicht übertrieben, was den Zustand von Willow Woods betraf. Das Schlafzimmer, in das man sie geführt hatte, war vermutlich seit Jahren nicht mehr benutzt und wohl auch nicht gereinigt worden. Da nur so wenige Dienstboten zur Verfügung standen, putzten die Zimmermädchen – falls es für das obere Stockwerk überhaupt mehr als eines gab – offensichtlich nur die regelmäßig benutzten Räume des großen Herrenhauses.
Man hatte ihr ein Zimmer mit blauen Vorhänge und Wänden sowie einer farblich passenden Tagesdecke zugeteilt. Zumindest war der Raum ursprünglich einmal in Blau gehalten gewesen, doch mittlerweile war die Tapete zu einem stumpfen Grau verblasst. Der dunkle Holzboden brauchte dringend einen frischen Schliff. Es gab in dem Zimmer einen schmalen Sekretär, aber keine Frisierkommode und somit auch keinen Spiegel. Julia nahm sich vor, umgehend eine Liste mit all den Dingen zusammenzustellen, die sie aus den Londoner Kaufhäusern brauchte.
Sie konzentrierte sich absichtlich auf diese Nebensächlichkeiten, um nicht an das Gespräch mit dem Grafen denken zu müssen, das ihr doch sehr an die Nieren gegangen war. Sie hatte zwar gehofft, der Konfrontation gewachsen zu sein, doch ihr war durchaus klar gewesen, wie leicht sie sich hätte verhaspeln und genau das Falsche sagen können. Sie war ohnehin nicht sicher, dass Milton sich von ihrer Scharade wirklich hatte täuschen lassen, auch wenn er am Ende damit einverstanden gewesen war, dass die Trauungszeremonie in Willow Woods stattfinden sollte. Julias Zweifel waren der Grund, warum sie sofort nach Verlassen seines Arbeitszimmers zu zittern begonnen hatte.
Obwohl er sich diese Hochzeit schon zeit ihres Lebens wünschte, schien es ihn kein bisschen zu freuen, dass sie nun endlich stattfinden sollte. Zumindest hatte Julia bisher noch kein Anzeichen von Freude
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