Im Taumel der Herzen - Roman
ohne dass jemand anders in der Nähe war. Sie griff nach ihrer Haube und öffnete die Tür, hielt dann aber einen Moment inne, um die Rückseite ihres Rockes ein wenig vom Staub zu befreien. Das Bett war derart schmutzig gewesen, dass sich tatsächlich der Umriss ihres Körpers auf der Decke abzeichnete.
»Warte!«, rief Richard und hielt ihre Hand fest. »Lass mich das für dich machen.«
Als sie daraufhin einen Blick über ihre Schulter warf, stellte sie fest, dass seine Augen spitzbübisch funkelten und er bereits die Hand nach ihrem Rock ausstreckte. Rasch drehte sie sich um. »Nein, lieber nicht.«
Inzwischen grinste er breit. »Ach, nun komm schon, mein Schatz, gibt es eine bessere Gelegenheit als ein bisschen Staub?«
»Ich meine es ernst, halte bloß deine Finger von meinem Hinterteil fern!« Sie bemühte sich, möglichst streng zu klingen, aber seine scherzhafte Art war ansteckend.
»Sei kein Spielverderber!«, bettelte er und streckte schon wieder seine Hand nach ihr aus.
Julia musste lachen, antwortete aber dennoch mit einem entschiedenen Nein und trat rasch auf den Gang hinaus, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen.
Richard ignorierte ihre Antwort und machte einen großen Satz auf sie zu, woraufhin Julia einen Schrei ausstieß und den Gang entlangflüchtete. Kichernd warf sie einen Blick über ihre
Schulter, um sich zu vergewissern, dass er ihr nicht zu nahe kam … und stieß mit seinem Vater zusammen.
Heiß stieg ihr die Schamröte in die Wangen. Sie brachte nur ein gestammeltes »Verzeihung!« heraus, dann stürmte sie verlegen die Treppe hinunter.
»Du kannst einem wirklich jeden Spaß verderben, alter Mann!«, hörte sie Richard schimpfen, ehe er ihr in großen Sätzen nach unten folgte.
36
N achdem sie oben so albern gewesen waren, legte sich auch Julias letzter Rest von Nervosität. Sie wunderte sich über sich selbst, weil sie sich zu diesen kindischen Kapriolen mit Richard hinreißen ließ. Sie erklärte es sich damit, dass sie wohl irgendein Ventil brauchte. Lachen stellte ja bekanntlich ein gutes Heilmittel gegen unangenehme Gefühle dar – zumindest kurzfristig. Doch sogar die Verlegenheit, die sie empfunden hatte, weil Richards Vater etwas davon mitbekommen hatte, verflüchtigte sich rasch, sobald sie die Nachmittagssonne auf ihren Wangen spürte. Sie nahm sogar ihre Haube ab, um die Wärme noch besser genießen zu können, und hängte sich die zusammengebundene Schleife ans Handgelenk.
Ihrer Zofe, die neben den Kutschen stand, erklärte sie, das Gepäck könnte nun hineingebracht und ausgepackt werden. Vorher war es ihnen nicht sinnvoll erschienen, weil sie zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht wussten, ob sie überhaupt willkommen waren.
»Das war brillant«, meinte Richard, während er die Haustür hinter sich zuzog und sich dann zu Julia gesellte, die am Fuß des Treppenaufgangs wartete.
Sie sah ihn neugierig an. »Hast du das absichtlich gemacht, damit du mich durchs Haus jagen konntest?«
»Was glaubst du denn?«
Sie wusste nicht, was sie glauben sollte, aber nachdem er so
triumphierend wirkte, antwortete sie einfach: »Warne mich beim nächsten Mal bitte vor!«
Grinsend schüttelte er den Kopf. »Spontan wirkt es aber besser.«
Damit hatte er vermutlich recht, falls die gewünschte Wirkung eintrat, aber sein Anfall von Albernheit hätte durchaus auch das Gegenteil bewirken können. In Anbetracht ihrer gemeinsamen Vergangenheit und des Zustands von Julias Nerven hätte sie sich genauso gut darüber aufregen können, dass Richard sie nicht ernst nahm. In diesem Fall wäre Milton in einen Streit hineingeplatzt.
»Hattest du vorhin damit gerechnet, dass er in der Nähe war und unsere Kapriolen mitbekam?«
»Ich rechne damit, dass er uns die ganze Zeit mit Adleraugen beobachten wird. Aber bestimmt gehen ihm auch viele Fragen durch den Kopf, weshalb ich tatsächlich das Gefühl hatte, dass er recht bald auftauchen würde.«
Einen Arm um ihre Taille gelegt, führte Richard sie den Weg entlang. Vor ihnen erstreckte sich die lange Auffahrt zum Haus. Die Bäume, die sie säumten, standen in voller Blüte, und durch die Wipfel lugte die Sonne hindurch. Trotzdem schlug Richard nicht diesen malerischen Weg ein, sondern führte Julia stattdessen ums Haus herum. Die große Terrasse an der Rückseite zog sich ein beträchtliches Stück am Gebäude entlang. Nicht nur aus dem Salon, sondern auch aus dem Speisezimmer und dem Frühstücksraum führte jeweils eine Tür ins Freie. All
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