Im Taumel der Herzen - Roman
ein wenig Frieden, damit ich mich wieder fangen kann.«
»Lass mich nicht im Stich, Jewels! Ich tue das doch nur für dich. Wenn es nach mir ginge, würde ich diesem Tyrannen nie wieder unter die Augen treten.«
34
A ls Julia aus der Kutsche stieg, fühlte sie sich an ihren ersten Besuch in Willow Woods erinnert. Sie empfand ein ebenso starkes Gefühl von Beklemmung wie an jenem lange zurückliegenden Tag. Im Grunde hatte sie eine Heidenangst, durfte sich jedoch nichts anmerken lassen. Sie war nicht mehr die kleine Göre, die sich so sehr wünschte, ihr Verlobter würde sie mögen. Nein, als erwachsene Frau musste sie nun so tun, als würde er sie mögen.
Sie waren nicht angekündigt. Richard klopfte nicht einmal, sondern marschierte einfach zur Haustür hinein, als wäre er nie fort gewesen – als wäre er hier immer noch zu Hause. In der Eingangshalle eilten keine Bediensteten herbei, um sie aufzuhalten. Trotz der beeindruckenden Größe des Herrenhauses hatte es in Willow Woods nie besonders viele Dienstboten gegeben. Julias Mutter hatte einmal sogar eine recht abfällige Bemerkung darüber gemacht, dass die Millers bestimmt doppelt so viele beschäftigten, und das, obwohl ihr Haus nicht annähernd so groß war. Gerald hatte wegen ihrer hochnäsigen Einstellung die Stirn gerunzelt und sie daran erinnert, dass sie keineswegs all die Bediensteten brauchten , die sie so verschwenderisch einstellte.
Julia war froh, dass sie sich an die Bemerkung ihrer Mutter erinnerte, denn genau das war letztendlich der Hauptgrund, warum der Graf sich weigerte, den Vertrag aufzugeben: Sein
Mangel an Reichtum zwang ihn, im Vergleich zu anderen Lords seines Standes sehr sparsam zu leben. Zugleich war das auch der Hauptgrund, warum er ihnen heute vielleicht glauben würde – weil er ihnen glauben wollte .
Sie begaben sich geradewegs ins Arbeitszimmer des Grafen, wobei Richard den Arm fest um Julias Taille legte. Der Wirkung wegen? Oder weil er befürchtete, sie könnte die Flucht ergreifen? Mittlerweile aber fühlte sie sich ein wenig gelassener und selbstsicherer. Sie würde das schon schaffen.
Milton saß an seinem Schreibtisch. Zunächst blickte er nicht einmal hoch, weil er wahrscheinlich annahm, ein Bediensteter hätte den Raum betreten, um ihn mit irgendetwas zu belästigen. Als er schließlich doch den Kopf hob, starrte er sie nur an. Er rührte sich nicht von der Stelle, und er verzog auch keine Miene. Offensichtlich hatte es ihm vor Überraschung die Sprache verschlagen.
Was Richard Gelegenheit gab, zu verkünden: »Wir werden heiraten, Vater. Ich sage nicht, dass du gewinnst« – er legte einen Pause ein, in der er liebevoll zu Julia hinunterlächelte –, »weil in Wirklichkeit ich der Gewinner bin.«
Der Graf zeigte keinerlei Anzeichen von Triumph. Allerdings stieg ihm langsam ein wenig Röte in die Wangen, während er seine eisig blauen Augen zusammenkniff und seinen Sohn misstrauisch musterte. Julia fragte sich, ob er Richards Worte überhaupt gehört hatte oder ob er einfach nicht darüber hinwegkam, dass sein Sohn sich nicht mehr auf einem Schiff in die Hölle befand – auf das er ihn verfrachtet hatte.
Tatsächlich interessierte ihn wohl nur Letzteres, denn schließlich sagte er: »Wie ist es möglich, dass du hier bist?«
»Das habe ich meiner Braut zu verdanken.«
»Deiner … Braut?«
Milton richtete den Blick auf Julia, als bemerkte er sie erst
jetzt. Noch immer runzelte er die Stirn. »Du hast mich angelogen? «
»Inwiefern? Als ich Ihnen sagte, Ihr Sohn und ich seien übereingekommen, nicht zu heiraten? Nein, zu jenem Zeitpunkt entsprach das durchaus der Wahrheit. Als Richard und ich uns kürzlich in London begegneten und miteinander ins Gespräch kamen, erkannten wir uns zunächst nicht wieder. Als wir uns schließlich doch identifizierten, kam das einem ziemlich unsanften Erwachen gleich, das all die alten Animositäten wieder hervorrief, sodass wir mit recht wütenden Worten auseinandergingen. Ich war davon überzeugt, dass er sich überhaupt nicht geändert hatte.«
»Ich dachte dasselbe über sie«, warf Richard nun grinsend ein.
»Doch dann erzählten Sie mir, wohin Sie ihn schicken wollten. Erinnern Sie sich, dass Sie mich fragten, ob ich darüber denn nicht froh wäre?« Sie sah Milton aus schmalen Augen an. »Ich war nicht froh, nicht im Geringsten! Noch ehe ich wieder zu Hause war, wurde mir klar, dass ich Richard aus dieser fürchterlichen Situation befreien wollte. Ich konnte den
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