Im Taumel der Herzen - Roman
Eltern dabei auch die Wünsche ihrer Kinder in Betracht. Mein Vater hätte meinem Bruder und mir erlauben sollen, uns unsere Ehefrauen selbst auszusuchen – unter Berücksichtigung seiner Kriterien. Aber wir wurden nicht einmal gefragt. Uns wurde einfach mitgeteilt, wen wir zu heiraten hätten, und zwar lange bevor wir volljährig waren.«
Richard legte eine kurze Pause ein, ehe er fortfuhr: »Da Charles den Titel erben sollte, erwartete mein Vater logischerweise von ihm, dass er die gesellschaftliche Leiter hinaufheiratete. Dabei kann man kaum höher klettern, als die Tochter eines Herzogs zu heiraten. Das ist bereits dermaßen hoch, dass es für den Sohn eines Grafen fast nicht mehr vorstellbar ist. Allerdings besaß Candice, das Mädchen, mit dem Charles sich schließlich verlobte, so wenig Anziehungskraft, dass ihr Vater, der Herzog von Chelter, nachdem er drei Saisonen hindurch vergeblich versucht hatte, sie an den Mann zu bringen, irgendwann jede Hoffnung aufgab. Das Mädchen war nicht nur hässlich, sondern hatte darüber hinaus auch ein sehr unangenehmes Wesen. Ständig beschwerte sie sich über irgendetwas. Damit schlug sie ihre sämtlichen Verehrer – denn es gab eine Menge, die grundsätzlich gern in die Familie des Herzogs eingeheiratet hätten – schnell wieder in die Flucht, ehe sie auch nur in die Nähe des Traualtars kamen. Alle lachten bereits über die Anzahl der Männer, welche die Verlobung mit ihr wieder gelöst hatten. Deshalb stimmte der Herzog sofort
begeistert zu, als mein Vater ihm seinen Erstgeborenen anbot, auch wenn das Mädchen vier Jahre älter war als Charles. Zwei Jahre, bevor ich von zu Hause ausriss, wurden die beiden getraut, und ihre Ehe entwickelte sich zu einem Albtraum, genau wie Charles und ich befürchtet hatten.«
»Du bist ja offenbar ausgerissen, um der Ehe zu entgehen, die dein Vater für dich arrangiert hatte. Warum hat dein Bruder nicht dasselbe gemacht?«
»Als Erstgeborener hatte er viel mehr zu verlieren. Außerdem war er nicht der Rebell, zu dem ich mich entwickelt hatte. Sosehr er über sein Schicksal auch wüten und jammern mochte, am Ende tat er doch immer, was Vater ihm befahl. Schließlich wollte er eines Tages den Grafentitel von ihm übernehmen. Mein Gott, ich war oft so wütend auf ihn, weil er immer nur buckelte. Und was hat es ihm gebracht? Nun ist er mit einer Frau verheiratet, die ihm das Leben zur Hölle macht. Sie hat ihn sogar in den Alkohol getrieben, musst du wissen. Ich glaube nicht, dass ich ihn nach seiner Heirat noch einmal nüchtern erlebt habe.«
»Du hast befürchtet, dasselbe könnte auch dir passieren, oder?«, mutmaßte Ohr.
»Machst du Witze? Ich wusste , dass mir genau dasselbe drohte! Ehrlich gesagt, befürchtete ich sogar, ich könnte meine Zukünftige eines Tages umbringen – vorausgesetzt, sie käme mir nicht zuvor. Wir haben uns vom ersten Augenblick an gehasst.«
»Warum eigentlich?«
14
R ichard musste über Ohrs Frage erst einen Moment nachdenken. Sein Bruder und er hatten zeit ihres Lebens nie eigene Entscheidungen treffen dürfen. Ihre Spielsachen, ihre Haustiere, ihre Freunde, ihre Kleidung, ja, sogar ihre Haarschnitte waren vom Grafen ausgewählt worden statt von den Jungen selbst. Er führte in seinem Reich nicht nur ein strenges Regime, sondern erwies sich als richtiger Tyrann, und war zudem allzu eifrig, wenn es darum ging, jemanden zu bestrafen. Richard konnte sich nicht erinnern, seinen Vater je geliebt zu haben. Dass der Graf am Ende auch noch seine zukünftige Ehefrau aussuchte, war sozusagen nur die Krönung des Ganzen gewesen, das schlimmste Beispiel dafür, wie sein Vater jeden einzelnen Aspekt seines Lebens kontrollierte. Deswegen hatte er Julia Miller bereits gehasst, noch ehe er sie kennenlernte. Er versuchte sich jenes erste Treffen ins Gedächtnis zu rufen, was gar nicht so einfach war, weil all die wütenden, wilden Auseinandersetzungen, die danach stattgefunden hatten, seine Erinnerung überlagerten.
Während der ersten vier Jahre ihrer Verlobung hatte er nicht einmal etwas von ihrer Existenz gewusst. Als sein Vater ihm einen Monat vor ihrem ersten Treffen schließlich eröffnete, dass er vorhätte, ihn aus finanziellen Gründen unter seinem Stand zu verheiraten, hatte Richard ihm zur Antwort gegeben, da machte er nicht mit. Für einen Zehnjährigen eine recht kühne
Aussage, für die er streng bestraft worden war. Der Stock, mit dem sein Vater ihn und seinen Bruder zu versohlen pflegte, war an
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