Im Taumel der Herzen - Roman
jenem Tag über Richards Hinterteil zerbrochen, und die Striemen, die er dabei davontrug, waren noch immer nicht vollständig verheilt, als er seiner Zukünftigen zum ersten Mal begegnete. Vielleicht hatte er deshalb einen Teil des Hasses, den er für seinen Vater empfand, auf Julia übertragen, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Richtig begonnen aber hatte sein Aufbegehren gegen die Situation, als er fünfzehn Jahre alt gewesen war und er und seine unverschämte Verlobte sich versprochen hatten, einander umzubringen. Er hatte seinem Vater davon erzählt und ihn gebeten, die Verlobung zu lösen. Milton hatte nur lachend geantwortet: »Wenn du mit der Kleinen nicht zurechtkommst, kannst du sie ja ignorieren, sobald du ein, zwei Erben in die Welt gesetzt hast. Klingt doch ganz einfach, oder? Genauso habe ich es auch mit deiner Mutter gemacht, möge sie in Frieden ruhen, die alte Hexe!«
Richard besaß keinerlei Erinnerung an seine Mutter. Sie war in dem Jahr nach seiner Geburt gestorben, aber Charles hatte ihm erzählt, wie heftig ihre Eltern sich immer stritten. Allem Anschein nach hatten sie bei der Wahl ihres Ehepartners ebenfalls kein Mitspracherecht gehabt.
Richard wusste also, dass er keine Chance hatte, aus diesem schrecklichen Eheversprechen wieder herauszukommen, außer, sein Vater verstieß ihn. Aus diesem Grund hatte Richard alles in seiner Macht Stehende unternommen, um genau das zu erreichen, indem er hohe Spielschulden aufhäufte, die dem Grafen finanziell das Genick brechen konnten. Doch all seine Bemühungen blieben vergebens. Dabei war es alles andere als leicht gewesen, Männer zu finden, die sich überhaupt bereiterklärten, mit einem Jungen in seinem Alter um Geld zu spielen. Als es ihm dann endlich gelungen war, ein paar Halunken
aufzutreiben, an die er etwas verlieren konnte, hatte keiner von ihnen den Mumm gehabt, die Spielschulden von seinem Vater einzufordern, weil dieser als Adliger eine hohe Stellung im Königreich innehatte. Stattdessen hatten sie sich ganz höflich wieder an Richard gewandt und ihm zu seinem großen Bedauern auch noch angeboten, zu warten, solange er eben brauchte, um das Geld zurückzuzahlen. Zwei Jahre später war ihm klar geworden, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als England zu verlassen. Das war seine einzige Chance.
Mittlerweile aber erinnerte Richard sich nur noch ganz vage an jenen lange zurückliegenden Tag in Willow Woods, an dem Julias Eltern sie zum ersten Mal gebracht hatten, damit sie ihn kennenlernen konnte. Lediglich der Schmerz, den sie ihm damals zugefügt hatte, war ihm deutlich im Gedächtnis geblieben. Wie hätte er das auch vergessen sollen! Dabei war sie damals erst fünf Jahre alt gewesen!
Als sie an jenem Tag auf ihn zukam, war er gerade damit beschäftigt gewesen, auf der ausgedehnten Rasenfläche hinter dem großen Herrenhaus Stöckchen zu werfen, denen sein Hund hinterherjagte. Sie hielt es nicht einmal für nötig, den Kopf zu heben und ihn anzuschauen, damit er ihr Gesicht sehen konnte. Zweifellos spielte sie die Schüchterne. Ihre weißblonden Zöpfe waren mit rosaroten Schleifen zusammengebunden und reichten ihr bis über die mageren Schultern. Ihre kleine Haube war mit Unmengen von weißen und gelben Blümchen übersät und ihr rosa-weiß gemustertes Kleid bestimmt aus dem feinsten Leinen gewebt, das es für viel Geld zu kaufen gab. Auf den ersten Blick hätte man sie für ein liebes Mädchen halten können – bis man einen Blick in die Augen des kleinen Monsters erhaschte.
Richard war klar, dass ihre Eltern ihnen von der Terrasse aus zusahen. Sein Vater hatte ihn laut rufend über das Eintreffen der Millers in Kenntnis gesetzt und kochte vermutlich vor
Wut, weil Richard nicht sofort zum Haus zurückgelaufen war. Stattdessen hatten sie das Mädchen zu ihm hinuntergeschickt. Zweifellos hatte er sich von seiner besten Seite gezeigt, auch wenn es ihm noch so sehr widerstrebte, dass er nun die fette Geldbörse kennenlernen musste, die er gegen seinen Willen heiraten sollte.
Hatte er womöglich etwas Derartiges zu ihr gesagt? Er wusste es nicht mehr. Jedenfalls hatte sie ihn damit überrascht, dass sie völlig unerwartet in Tränen ausbrach. Immerhin konnte er sich noch daran erinnern, dass er sich verwundert gefragt hatte, was zum Teufel diesen Anfall ausgelöst haben mochte, sodass er ihn vermutlich doch nicht durch irgendeine unbedachte Bemerkung provoziert hatte. Wobei der Weinkrampf des Mädchens ohnehin nicht lange dauerte, denn
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