Im Taumel der Herzen - Roman
plötzlich ging sie mit den Fäusten auf ihn los und traf ihn dabei in der Lendengegend. Wahrscheinlich geschah das ohne jede Absicht, führte jedoch dazu, dass er vor Schmerz in die Knie ging. Bedauerlicherweise befand er sich dadurch mehr oder weniger auf einer Höhe mit ihr, sodass einer ihrer Fußtritte ihn an genau derselben Stelle traf – diesmal mit voller Absicht, davon war er felsenfest überzeugt. Und so begann der Krieg.
Julias Vater war entsetzt herbeigeeilt, um sie von ihm herunterzuzerren. Vorher aber hatte sie ihm noch rasch die Lippe blutig geschlagen – und das, obwohl er bereits ächzend am Boden lag. Sie hatte Gerald Miller angeschrien, sie wollte keinen blöden Allen heiraten. Ihre Mutter war vor Verlegenheit rot angelaufen und hatte gar nicht mehr gewusst, was sie sagen sollte, während Gerald an Milton gewandt erklärte: »Vielleicht war das doch keine so gute Idee.«
Milton aber hatte den besorgten Vater nur ausgelacht und seine Bedenken mit der Bemerkung abgetan: »Kinder sind nun mal so. Glauben Sie mir, wenn sie erst älter sind, werden sie sich an diesen Vorfall gar nicht mehr erinnern. Außerdem
lässt sich nun nichts mehr daran ändern, die Verlobung wurde bereits öffentlich verkündet. Ihre Tochter genießt dadurch schon vor der Eheschließung viele Vorteile. In dem Moment, als der Vertrag unterzeichnet wurde, erhielt sie Zutritt zur feinen Gesellschaft. Also versuchen Sie tunlichst, ihr Manieren beizubringen, bis die beiden sich das nächste Mal treffen!«
Diese Reaktion war typisch für Richards Vater. Gerald Miller war davon überhaupt nicht angetan. Nicht zum letzten Mal versuchte Julias Vater, Milton dazu zu bewegen, den Vertrag zu zerreißen. Einmal bot er ihm sogar an, ihm als Entschädigung die gesamte vereinbarte Mitgift auszuzahlen. Doch Miltons Gier war mittlerweile noch gewachsen. Der Name Miller tauchte oft im Zusammenhang mit einem neuen Geschäftsabschluss, einer neu erworbenen Immobilie oder irgendeinem anderen Erfolg in den Zeitungen auf, und jedes Mal, wenn Milton etwas über das große Vermögen der Familie Miller las, stieß er einen Freudenschrei aus, weil das alles bald auch ihm gehören würde. Eine Weile hatte Richard gehofft, Gerald Miller würde seinem Vater trotzen, indem er sich einfach nicht an den Vertrag hielt, doch allem Anschein nach hatte ihn der Schaden, den sein Geschäft dadurch vielleicht genommen hätte, oder der gesellschaftliche Skandal, den seine Frau Helene befürchtete, davor zurückschrecken lassen.
Falls die beiden ihrer Tochter jemals Manieren beigebracht hatten, ließ Letztere sich das zumindest in Richards Gegenwart nie anmerken. Am Ohr hatte er eine Narbe, die ihn stets daran erinnerte, dass sie einmal versucht hatte, es ihm abzubeißen. Seine Nase hatte eine bleibende Delle davongetragen, weil Julia sie ihm gebrochen hatte und er sich deswegen derart schämte, dass er niemandem davon erzählte, weshalb natürlich auch kein Arzt gerufen wurde, der sie ihm wieder einrichtete. Bei keinem einzigen ihrer – zum Glück sehr seltenen – Besuche hatten sie sich je vertragen. Umso deutlicher aber
war ihm stets bewusst geblieben, dass er dieses kleine Monstrum eines Tages heiraten musste. Nur weil sein Vater auf Julias Mitgift scharf war und außerdem darauf spekulierte, durch sie eines Tages auch Zugang zum Vermögen der Millers zu haben. Warum zum Teufel hatte der Alte nicht selbst um ihre Hand angehalten, wenn er sie schon unbedingt in der Familie haben wollte?
Bei einem seiner vielen Versuche, aus diesem Vertrag herauszukommen, hatte Richard seinem Vater genau diese Frage gestellt. »Sei nicht albern, Junge!«, hatte Milton ihn gescholten. »Du musst wissen, dass ihr Vater sie liebt. Er wird ihr gewiss keinen Mann aufhalsen, der noch älter ist als er selbst.«
»Aber sie würden trotzdem in den Adel einheiraten, was sollte das also für eine Rolle spielen?«, wollte Richard wissen.
»Dieser Miller ist ein sehr ungewöhnlicher Bürgerlicher. Ihm liegt nichts an einem gesellschaftlichen Aufstieg. Dieser Mann ist so reich, dass er sich weder um Titel noch um die Möglichkeiten schert, die ihm ein Aristokrat in der Familie eröffnen würde.«
»Warum hat er dieser schrecklichen Verlobung dann überhaupt zugestimmt?«
»Die Frauen in seiner Familie sehen das offenbar anders. Hätte ich bei meinen Nachforschungen zu seiner Familie nicht herausgefunden, dass sich eine der Miller-Frauen vor ein paar Jahrhunderten einen Lord gekauft hat
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