Im Taumel der Herzen - Roman
Woods vorschlugen. Helene hatte panische Angst davor, Julia könnte die Familie gesellschaftlich ruinieren, indem sie Mitglieder des Adels beleidigte. Gerald hatte seine Frau schließlich angebellt, sie sollte endlich mit ihrem Gejammer aufhören, die Verlobung wäre ein Fehler gewesen, und er hätte der Sache ohnehin nie zugestimmt, wenn sie, Helene, nicht eine so verdammt hohe Meinung von besagten Adeligen besäße. Helene war immer schon ein wenig zögerlich gewesen, doch ab diesem Zeitpunkt war sie überhaupt nicht mehr in der Lage, irgendwelche Entscheidungen zu treffen.
Julia blieb dennoch keine andere Wahl, als Richard wiederzusehen. Allerdings verging bis zu diesem Treffen ein ganzes Jahr. So lange dauerte es, bis sie nicht mehr in Tränen oder hysterisches Gekreische ausbrach, wenn ihre Eltern die Möglichkeit eines erneuten Besuchs in Willow Woods andeuteten. Julia war noch immer nicht alt genug, um wirklich zu verstehen, was bei ihrer ersten Begegnung schiefgelaufen war, doch sie vermutete, es könnte damit zu tun haben, dass sie beide wegen des bevorstehenden Treffens so nervös gewesen waren.
Außerdem wusste sie inzwischen, was man unter Snobismus verstand, und sie hatte begriffen, dass ihr Verlobter genau das war: ein Snob. Sie hoffte allerdings, dass es ihr gelänge, ihm zu verzeihen, und sie beide noch einmal von vorn anfangen könnten. Im Laufe der Zeit hatte sie sich bestimmt Tausende solcher Treffen ausgemalt, bei denen er sich entschuldigte und auch sonst so wundervoll verhielt, wie er eigentlich gesollt hätte.
Doch nichts davon passierte. Stattdessen lauteten die ersten Worte aus seinem Munde: »Wage noch einmal, mich zu schlagen, und ich schlage zurück!«
Wobei er das erst verkündete, nachdem sie bereits knapp eine Stunde im gleichen Raum miteinander verbracht hatten, wenn auch zunächst in Gesellschaft ihrer Eltern und seines Bruders Charles. Die Erwachsenen hatten Angst, die beiden noch einmal allein zu lassen. Fast als hätten sie es heimlich abgesprochen, zeigten sich sowohl Julia als auch Richard von ihrer besten Seite. Solange sie nicht miteinander zu sprechen brauchten, fiel ihnen das nicht schwer. Julia ging sogar noch einen Schritt weiter, indem sie so tat, als wäre Richard gar nicht da, und stattdessen mit Charles sprach.
Da es dieses Mal nicht gleich zu einem Ausbruch von Gewalt kam, entspannten ihre Eltern sich allmählich. Die Männer beschlossen sogar, sich zu einer Partie Billard zurückzuziehen. Nachdem Helene allein mit den beiden Jungen und ihrer unberechenbaren Tochter zurückgeblieben war, bekam sie bald nervöse Zustände und musste sich entschuldigen.
Sie hatte kaum den Raum verlassen, als Charles, der drei Jahre älter als Richard war, gelangweilt seufzte und dann erklärte, er hätte Besseres zu tun. Plötzlich waren die verlobten Kinder allein und beäugten sich misstrauisch. Zu diesem Zeitpunkt sprach Richard seine Warnung aus, Julia sollte ja nicht noch einmal wagen, ihn zu schlagen.
»Du würdest zurückschlagen? Obwohl ich ein Mädchen bin?«, fragte sie ungläubig.
»Du bist kein Mädchen, sondern ein kleines Monstrum. Ich habe letztes Mal eine Tracht Prügel bekommen, weil du auf mich losgegangen bist. Vater hat mir nicht geglaubt, dass ich dir dazu keinen Anlass gegeben hatte.«
»Aber das hast du doch, und ich bin froh, dass er dich geschlagen hat!«, antwortete sie, wobei ihre Unterlippe bereits leicht zitterte.
»Du kleine Hexe, hast du überhaupt eine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn man geschlagen wird?«, fauchte er. »Das weißt du doch gar nicht, oder? Glaub mir, es tut verdammt weh!«
Als er sie so anschrie, konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Oh Gott, nun benahm sie sich in seiner Gegenwart schon wieder wie eine Heulsuse! Sie beide würden sich nie mögen und einander doch nie entkommen können!
Julia schnappte sich den Finger, mit dem er so wütend vor ihrem Gesicht herumfuchtelte, und biss hinein, so fest sie konnte. Er wurde deswegen fuchsteufelswild, doch statt sie seinerseits zu beißen oder zu schlagen, zerrte er sie an ihren Zöpfen aus dem Haus und schnurstracks zu dem See hinter Willow Woods hinunter! Dort warf er sie von dem kleinen Bootssteg ins Wasser. Da sie nicht schwimmen konnte, ruderte sie verzweifelt mit den Armen und geriet dabei derart in Panik, dass sie nicht einmal mehr schreien konnte. Am Ende musste er durch das kalte Wasser waten, um sie wieder herauszuziehen, und wurde deswegen nur noch wütender.
Weitere Kostenlose Bücher