Im Taumel der Herzen - Roman
womit ich mich all die Jahre herumschlagen musste? Er ist der schlimmste Sohn, den ein Mann nur haben kann.«
Richard runzelte die Stirn. Offenbar war diese scheinheilige Inszenierung väterlicher Enttäuschung als Schauspiel für die anderen Männer gedacht. Hätte Milton jemals echte Enttäuschung gezeigt oder zumindest eine Spur von Besorgtheit oder liebevoller Fürsorge an den Tag gelegt, dann hätte ihre Beziehung sich bestimmt in eine andere, normalere Richtung entwickelt. Schließlich hegte jedes Kind instinktiv den Wunsch, seinen Eltern zu gefallen – zumindest bis es herausfand, dass ihm das niemals gelingen würde, ganz egal, wie sehr es sich auch anstrengte.
»Wer sind Sie?«, wandte Richard sich an den dritten Mann.
»Abel Cantel ist ein alter Freund von mir«, kam Milton diesem zuvor.
Doch Abel fühlte sich verpflichtet, hinzuzufügen: »Außerdem fungiere ich hier in der Gegend als Richter, Lord Richard. «
War das als Warnung gedacht? Richard versteifte sich. Nur ein Adeliger ohne Titel oder ein Bürgerlicher konnte auf die Idee kommen, ihn als Lord zu bezeichnen, und in beiden Fällen würde dieser Mann sich vermutlich den Wünschen eines Grafen beugen. Wobei Richard immer klar gewesen war, dass sein Vater jene alten Vergehen gegen ihn verwenden könnte, sollten sie beide einander jemals wieder von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Damals hatte Richard durch seine Missetaten zu bewirken versucht, dass Milton sich von ihm lossagte. Er war zu jung gewesen, um zu erkennen, dass er seinem Vater damit unter Umständen nur ein weiteres Druckmittel in die Hände spielte, das dieser eines Tages einsetzen könnte, um ihn zu zwingen, sich dem Heiratsvertrag zu fügen.
Trotzdem machte Richard sich noch keine ernsthaften Sorgen. Vielleicht war es reiner Zufall, dass ein Vertreter des »Gesetzes« zugegen war. Er hatte ohnehin nicht vor, lange zu bleiben, und dieses Mal war er auch nicht allein. Charles befand
sich irgendwo im Haus. Er hatte gesagt, er wollte erst am nächsten Morgen aufbrechen, um Mathews Großvater mütterlicherseits zu besuchen. Früher hatte sein Bruder nie den Mut aufgebracht, sich einzumischen, doch inzwischen war er sein eigener Herr. Außerdem würde Ohr bestimmt als Erstes in Willow Woods suchen, wenn er von seinem Techtelmechtel mit dem Barmädchen zurückkam und feststellte, dass Richard nicht mehr da war. Die Verwüstungen in ihrem Zimmer waren Beweis genug, dass er nicht freiwillig gegangen war.
Was würde – und konnte – sein Vater ihm schlimmstenfalls antun? Ihm eine weitere Tracht Prügel verpassen lassen? Das war ja nichts Neues. Ihn unter Androhung einer Gefängnisstrafe in einen Raum sperren? Weil er sich von seiner eigenen Familie einen Ring ausgeborgt hatte? Damit würde Milton sich vor Gericht doch nur selbst zum Gespött machen. Außerdem war Richard sicher, dass ihm, ehe derartige Drohungen in die Tat umgesetzt werden konnten, mithilfe von Charles oder Ohr die Flucht gelingen würde. Bestimmt noch diese Nacht.
Größere Sorgen bereitete ihm da schon Julias Prophezeiung, er könnte sich hinstellen und Nein schreien, so lange er wollte, und trotzdem zu ihrem Ehemann erklärt werden. Milton beschäftigte auf seinem Gut mindestens einen Pastor, dessen Lebensunterhalt von ihm abhing. Zum Glück befand Julia sich bereits auf dem Rückweg nach London. Es würde ein, zwei Tage dauern, sie wieder herzuholen, und mit Sicherheit würde sie ihre Rückkehr noch länger hinauszögern, wenn sie erfuhr, warum ihre Anwesenheit gewünscht wurde. Er hatte nicht vor, so lange zu bleiben.
»Weißt du, Vater, du hättest mich um dieses Treffen auch bitten können, statt es mir wie üblich aufzuzwingen.«
»Wir wissen doch beide, wie deine Antwort gelautet hätte«, gab Milton steif zurück.
»Nun ja, ich weiß es, aber weißt du es tatsächlich auch? Was,
wenn ich heimkommen wollte, um dich um Verzeihung zu bitten?«
Das gab Milton für einen Moment zu denken. »War das denn wirklich deine Absicht?«
Richard brachte es nicht fertig, Ja zu sagen, obwohl er damit vermutlich seinen Hals aus der Schlinge gezogen hätte. »Nein, aber du hättest wenigstens versuchen können, meine Pläne in Erfahrung zu bringen, bevor du deine brutalen Lakaien nach mir ausschickst, denn wenn es meine Absicht gewesen wäre, in den Schoß der Familie zurückzukehren, dann hätte ich es mir bei dieser Begrüßung sicher wieder anders überlegt. Aber nachdem mein Herr Vater sich seit jeher darauf
Weitere Kostenlose Bücher