Im Taumel der Herzen - Roman
schaffst, dich lange genug hinzusetzen, damit ich dir davon erzählen kann.«
Wieder klopfte er auf das Bett. Dass ihr Vater diese Geste ausführen konnte, war einzig und allein Arthurs Verdienst. Nachdem sie festgestellt hatten, dass Geralds Muskeln sich durch das ständige Liegen zurückbildeten, war der Mann dazu übergegangen, die Gliedmaßen des Patienten mehrmals täglich zu bewegen, um auf diese Weise körperliche Übungen zu simulieren. Wenn ihr Vater nun aufwachte, war er zumindest
in der Lage, seine Arme und Beine ein wenig zu bewegen, auch wenn ihm die Kraft fehlte, um sich tatsächlich auf den Beinen zu halten. Wobei er ohnehin nie lange genug wach war, sodass er gar keine Gelegenheit hatte, derartige Anstrengungen überhaupt in Angriff zu nehmen. Für den Fall, dass es dennoch eines Tages dazu kommen sollte, hatte Arthur zumindest dafür gesorgt, dass Geralds Gliedmaßen durch seine langjährige Bettlägerigkeit nicht irreparabel geschädigt waren.
Julia setzte sich wieder, doch dieses Mal kam dadurch das Säckchen auf Geralds Kissen ins Rutschen und landete neben ihrer Hüfte. Entsetzte starrte sie auf die Blutflecken hinunter, die auf dem Stoff zu sehen waren.
»Mein Gott, was ist mit dir passiert?« Sie betastete das Säckchen. Der Stoff war kalt und völlig durchnässt.
»Eis«, erklärte er. »Das Wetter war noch nicht warm genug, um den Wintervorrat im Keller schmelzen zu lassen. Gestern war der Arzt da und hat Kälte gegen die Schwellung empfohlen – aber reg dich bitte nicht gleich wieder auf! Ich habe dir doch gesagt, dass es gute Neuigkeiten gibt.«
Er strahlte sie an. Julia kam noch immer nicht darüber hinweg, dass ihr Vater blutete. Dann aber drangen seine Worte zu ihr durch. Gestern? Er war schon einen ganzen Tag wach?
Voller Sorge, aber auch mit aufkeimender Hoffnung bat sie ihn: »Erzähle mir, wie du dich verletzt hast!«
»Ich bin gestern vor Arthur aufgewacht. Schlaftrunken, wie ich war, bildete ich mir ein, dass ich den schrecklichen Unfall nur geträumt hatte und dass es ein Morgen wie jeder andere war und somit Zeit, aufzustehen. Also habe ich es versucht.«
Julia verzog das Gesicht. »Du bist aus dem Bett gefallen?«
»Nein, ich bin aufgestanden. Was mir auch ansatzweise gelungen ist. Zumindest konnte ich den linken Fuß mit meinem ganzen Gewicht belasten und stand schon halb, als das Bein plötzlich nachgab. Deswegen bin ich nach links gefallen und
habe mir an der Nachttischkante den Kopf angeschlagen. Wie du siehst, ist der Nachttisch nicht mehr da. Ich bin so hart aufgeschlagen, dass er zerbrochen ist. Und Arthur habe ich mit dem Sturz zu Tode erschreckt. Zumindest hat er mir das im Nachhinein erzählt, ich selbst war zu diesem Zeitpunkt ja schon wieder bewusstlos.«
»Aber nicht lange?«
»Lange genug, um Arthur nach Dr. Andrew schicken zu lassen. Als der anfing, an meinem Kopf herumzutasten, bin ich wieder aufgewacht. Er fand es höchst faszinierend, dass ich mir den Kopf fast an derselben Stelle angeschlagen hatte, wo sich auch meine ursprüngliche Verletzung befand.«
Julia schnappte nach Luft.
»Es handelt sich lediglich um einen kleinen Schnitt, auch wenn er momentan noch geschwollen ist, weshalb der Doktor kalte Umschläge empfohlen hat. Nachdem wir jedoch Eis im Haus haben, schlug Arthur vor, es damit zu versuchen. Er meinte, das würde vielleicht schneller wirken.«
Gerald legte eine Pause ein und hob vorsichtig seine linke Hand, um damit die verwundete Stelle zu betasten. Die schlimmste seiner ursprünglichen Kopfverletzungen hatte sich ziemlich weit oben an der linken Seite befunden. Er hatte noch etliche andere erlitten, doch keine davon war so schwer gewesen wie diese eine.
»Das ist eine ganz schöne Beule«, bemerkte Julia, die erschrocken war, weil sie die Schwellung durch sein Haar hindurch sehen konnte.
»Keine Sorge, sie ist schon kleiner geworden. Demnach hilft das Eis«, beruhigte Gerald sie.
»Tut es sehr weh?«
»Ich spüre es kaum, also mach dir keine Sorgen. Ich liege hier nicht mit Schmerzen, mein Liebling, darauf gebe ich dir mein Ehrenwort.«
»Warum war Dr. Andrew so fasziniert?«
Gerald schnaubte. »Er hat einen Amnesie-Patienten erwähnt, dessen Gedächtnis zurückkehrte, als er eine weitere Kopfverletzung davontrug. Was man ja wohl kaum vergleichen kann. Das habe ich ihm auch gesagt. Aber nachdem sie noch so wenig über das Gehirn wissen, hatte er Bedenken, die neue Wunde überhaupt zu behandeln. Er meinte, der Schnitt sei so
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