Im Taumel der Herzen - Roman
mehr weinen, nun jedoch seinetwegen. Gerald weinte ebenfalls. Unter Tränen versuchte Julia, ihm begreiflich zu machen, warum sie ihm die Nachricht von Helenes Tod vorenthalten hatte, doch er entgegnete, sie brauchte es ihm nicht zu erklären, er verstünde es schon.
Das viele Weinen verschaffte ihr ein Gefühl von Erleichterung. Als sie sich schließlich wieder gefangen hatte, wurde ihr klar, dass damit auch die schreckliche Last der Unsicherheit fortgespült worden war.
Julia erzählte ihrem Vater alles, enthielt ihm nichts vor. Es gab so vieles, worüber sie noch mit ihm reden wollte. Julia hatte das Gefühl, als wäre bei ihr ein Damm gebrochen. Da ihre Gedanken in letzter Zeit so oft um Richard gekreist waren, kam sie im Lauf des Abends auch auf ihn zu sprechen, allerdings nur kurz. Zumindest versuchte sie, sich kurz zu fassen.
»Ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass er jemals zurückkehren würde«, gab Gerald zu.
»Eigentlich ist er gar nicht richtig zurückgekommen. Er wollte nur seinen Bruder besuchen. Ansonsten weiß niemand, dass er wieder hier ist. Weshalb ich auch mit meinem Vorhaben fortfahren werde, ihn für tot erklären zu lassen.«
Gerald schüttelte den Kopf. »Das kannst du nicht machen, Liebling. Es wäre nicht richtig. Eine solche Lösung kam nur infrage, solange du tatsächlich der Meinung warst, er wäre tot, weil du so lange nichts von ihm gehört hattest. Nun, nachdem du ihn gesehen hast, weißt du ja, dass dem nicht so
ist. Und ihr seid beide immer noch gegen die Heirat? Ganz sicher?«
»Absolut! In dieser Hinsicht hat sich nichts geändert. Wir können uns nach wie vor nicht ausstehen.« Sie erwähnte nicht, dass Richard in eine andere verliebt war – eine Tatsache, die sie allmählich ein wenig ärgerte, sooft sie daran dachte.
Gerald schnaubte. »Dieser arrogante Arsch Milton war felsenfest davon überzeugt, dass ihr eure kindliche Abneigung als Erwachsene ablegen würdet. Er hat es sogar geschafft, mich ebenfalls davon zu überzeugen.«
»War das der Grund, warum du ihm keine höhere Summe geboten hast, um das Band zwischen unseren Familien zu durchtrennen?«
»Das habe ich sehr wohl – deine dreifache Mitgift. Damals wurde mir klar, dass er sich wesentlich mehr von dieser Heirat erwartete. Deswegen habe ich meine Bemühungen, ihn umzustimmen, schließlich auch eingestellt. Du warst damals ja noch ein Kind. Außerdem bestand tatsächlich die Möglichkeit, dass Richard eines Tages Gnade vor deinen Augen finden könnte. Weshalb ich beschloss, meine endgültige Entscheidung aufzuschieben, bis du im heiratsfähigen Alter wärst. Und nachdem du das inzwischen bist, möchte ich, dass du ab jetzt dein Leben weiterlebst, Liebling. Finde den Mann, der wie für dich gemacht ist und bestimmt schon irgendwo dort draußen auf dich wartet – nachdem ich mit meinem Versuch, dir die Suche abzunehmen, so kläglich gescheitert bin.«
Sie konnte nicht fassen, dass er ihr das vorschlug. Mit weit aufgerissenen Augen entgegnete sie: »Wir können doch dein Wort nicht brechen!«
»Es ist meine Entscheidung. Du brauchst dir deswegen keine Gedanken zu machen.«
Sie begriff, dass er sie immer noch als Kind betrachtete. Was in seiner Situation durchaus verständlich war. Trotzdem war
sie kein kleines Mädchen mehr, das die beruhigenden Worte seines Vaters annehmen und es dabei belassen konnte. Nein, sie mussten darüber sprechen!
»Was könnte schlimmstenfalls passieren?«, fragte sie und beantwortete sich ihre Frage dann selbst. »Der Graf könnte die Angelegenheit vor Gericht bringen und eine Entschädigung zugesprochen bekommen.«
»Möglicherweise, aber bestimmt keine allzu große. Schließlich ist es ja keineswegs so, dass der Bräutigam schon am Altar bereitsteht und es kaum erwarten kann, seinen Teil der Vereinbarung endlich zu erfüllen.«
»Aber die Auswirkungen, die es haben wird, wenn du dein Wort brichst …«
»Das lass ruhig meine Sorge sein. Du leidest nun schon lange genug unter dieser bedauerlichen Situation, und zwar durch meine Schuld. Sollte es tatsächlich zu negativen Auswirkungen kommen, werde ich das als gerechte Strafe für meine Dummheit betrachten. Außerdem wächst bestimmt schnell Gras über die Sache.«
Julia befürchtete, dass es nicht ganz so einfach werden würde, wie ihr Vater es darstellte. Immerhin durchkreuzten sie damit die Pläne eines Lords, und das, obwohl sie selbst keine so hohe gesellschaftliche Stellung innehatten. Der Graf würde ihnen mit
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