Im Taumel der Herzen - Roman
Prügel einhandelte? Zumindest hatte er ihr gegenüber einmal erwähnt, geschlagen worden zu sein, und sie sogar dafür verantwortlich gemacht. Inzwischen zweifelte sie nicht mehr daran, dass er viele Male Prügel bezogen hatte. Ihr ging durch den Kopf, dass sie, wenn der Graf die Vormundschaft über sie bekommen hätte , wahrscheinlich genau wie Richard davongelaufen
wäre – nein, das wäre sie nicht. Denn mit dieser Vormundschaft wäre ihm auch die alleinige Verantwortung für Geralds Pflege übertragen worden, und um keinen Preis hätte sie ihren Vater auf Gedeih und Verderb dem Grafen ausgeliefert.
Allein schon der Gedanke ließ sie erstarren und einen Moment später hinzufügen: »Doch, ja, ich will mit Ihnen diskutieren. Und ich kann mir auch durchaus vorstellen, dass Sie nicht einmal vor einer Lüge zurückschrecken, um diese unerträgliche Situation aufrechtzuerhalten …«
»Wie kannst du es wagen!« Die Zornesröte war ihm in die Wangen gestiegen.
Seine wütenden Worte hatten Julia zusammenzucken lassen. Inzwischen war sie sehr froh darüber, dass sein Schreibtisch sich zwischen ihnen befand. Welcher Teufel hatte sie geritten, einem Lord des Königreichs jene schlimmste aller Beleidigungen an den Kopf zu werfen – selbst wenn ihr Vorwurf der Wahrheit entsprach? Wäre sie ein Mann gewesen, hätte er jetzt vermutlich Genugtuung gefordert.
»Ich entschuldige mich«, sagte sie rasch. »Da habe ich mich wohl ein wenig im Ton vergriffen, aber …«
»Du bist genauso respektlos wie Richard. Wie ähnlich ihr beide euch seid!«
Sie fand es nicht besonders angenehm, mit Richard verglichen zu werden, doch immerhin schien ihre Entschuldigung den Grafen besänftigt zu haben, denn auf ihre letzte Bemerkung hatte er lediglich mit Hohn reagiert. Vermutlich war nun ein guter Zeitpunkt, um aufzubrechen, ehe sie sich zu weiteren Frechheiten hinreißen ließ. Für den Fall, dass dem Grafen mit vernünftigen Argumenten nicht beizukommen war, hatte sie vorgehabt, ihm ein letztes Mal Geld anzubieten, ehe ihre Anwälte die Kontrolle über das Familienunternehmen wieder ihrem Vater übertrugen. Doch dieser Mann verdiente keinen
einzigen Penny dafür, dass er viel, viel länger an dem Vertrag festhielt, als er eigentlich sollte.
»Ich bin gekommen, um das Ganze in gegenseitigem Einvernehmen zu beenden, aber es ist so oder so vorbei.«
»Vorbei?«
»Ja. Ich war willens, meinen Teil dieses verabscheuenswerten Vertrages zu erfüllen, aber Richard war dazu nie bereit, und mittlerweile ist er alt genug, um zu dieser Entscheidung zu stehen. Man hat mich also sozusagen vor dem Altar stehen lassen.«
Er schnaubte. »Du hast vor keinem Altar gestanden – zumindest noch nicht. Aber in sieben Monaten …«
»Es tut mir leid, aber sieben weitere Monate ergäben dann insgesamt vier Jahre zu viel. Wenn Sie den Bräutigam also nicht auf der Stelle herbeischaffen können, fühle ich mich nicht länger verpflichtet, zu warten. Ich werde die Verlobung mit Ihrem Sohn ganz offiziell lösen lassen – mittlerweile sogar mit dem Segen meines Vaters, sollte ich vielleicht hinzufügen, nachdem Richard besagte Verlobung ja schon lange nicht mehr als bindend betrachtet. Ich wollte Ihnen lediglich die Höflichkeit erweisen, Sie vorab darüber zu informieren, ehe die Öffentlichkeit davon Kenntnis erhält.«
»Ich verstehe«, brummte er mit einem eisigen Unterton in der Stimme. »Du willst also deinen gerade erst genesenen Vater die Sache ausbaden lassen, obwohl du nur noch wenige Monate auf die Heirat warten müsstest?«
»Mein Vater hat mir versichert, dass wir den Sturm überstehen werden«, antwortete sie steif.
Auf die Ellbogen gestützt, faltete der Graf für einen Moment die Hände vor seinem Gesicht, setzte dann aber plötzlich eine nachdenkliche Miene auf, die Julia erstaunte. In einem Ton, der tatsächlich klang, als würde er sich um sie sorgen, erklärte er: »Dir ist sicher klar, dass dein Vater dir nur sagt, was du
hören möchtest, weil er dich liebt. Zu deinem eigenen Besten aber will ich nicht versäumen, dich darauf hinzuweisen, was wirklich passieren wird, wenn du eure Verlobung löst. Es wird nicht nur deinem Ruf und dem deiner Familie schaden – nein, darüber hinaus werden der gesellschaftliche Skandal und die daraus resultierenden negativen Auswirkungen auf die Geschäfte der Millers deinen Vater derart belasten, dass mit Sicherheit seine Gesundheit darunter leiden wird. Das fände ich sehr schade. Möchtest du
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