Im Taumel der Herzen - Roman
mein erster Gedanke«, gestand Julia. »Aber seine Vergehen waren so geringfügig, dass wohl alles vergeben und vergessen gewesen wäre, wenn Richard sich dem Willen seines Vaters gebeugt hätte und damit einverstanden gewesen wäre, mich zu heiraten. Doch das wollte er nicht. Daraufhin hat der Graf entschieden, ihn per Schiff nach Australien schaffen zu lassen.«
»Aber Australien gehört doch erst seit Kurzem zu England«, wandte James ein. »Es gibt dort nichts außer …«
»Genau«, unterbrach Julia ihn.
»Was soll das heißen?« Georgina ließ den Blick fragend zwischen den beiden hin und her wandern.
»Strafgefangene, mein Liebling. Als wir unsere Kolonien in Amerika verloren haben«, erklärte James mit einem plötzlichen Grinsen, weil der betreffende Krieg indirekt zu ihrer ersten Begegnung geführt hatte, »brauchten wir ein neues Land, wohin wir unsere schlimmsten Verbrecher schicken konnten. In Amerika hatten sie es vergleichsweise leicht. Dort wurden sie nur Leibeigene auf Zeit. Nicht so in Australien. Obwohl die dortigen Strafkolonien erst seit ein paar Jahren existieren, sind sie bereits berühmt-berüchtigt für die schlimmen Bedingungen und Entbehrungen, unter denen die Strafgefangenen zu leiden haben. Es ist ein wildes, ungezähmtes Land. Die Verurteilten, die man dazu zwingt, es zu zähmen, rackern sich dabei zu Tode.«
»Gütiger Gott!«, rief Georgina, vor Schreck ganz atemlos. »Das hat Richards Vater bestimmt nicht gewusst, als er beschloss, ihn dorthin zu schicken!«
»Oh doch, er weiß es«, entgegnete Julia bebend, weil die Stimme ihr fast den Dienst versagte. Welch seltsame Gefühlswallung war das nun wieder? Sie musste sich räuspern, ehe sie fortfahren konnte: »Der Graf hat sich zu diesem Schritt entschlossen, um Richards Willen zu brechen. Er ist kein normaler Vater. Ich hätte nie gedacht, dass ein Mann zu seinem eigenen Sohn derart grausam sein kann.«
»Vielleicht ist Richard gar nicht sein Sohn«, gab James zu bedenken.
Julia starrte ihn nur an, doch Georgina zog eine Augenbraue hoch, während sie sich ihrem Mann zuwandte. »Du meinst …?«
»Ja. Es gab mal eine Lady Allen, die während meiner wilden Zeit in London die Runde machte.«
»Du hast doch wohl nicht …!« Georgina schnappte so entrüstet nach Luft, dass James lachen musste.
»Nein, ganz bestimmt nicht. Sie war viel zu leicht zu haben.
Obwohl ich erst ganz am Anfang meiner fragwürdigen Karriere stand, schätzte ich schon damals die Herausforderung. Außerdem ging das Gerücht, dass sie ihrem Gatten absichtlich Hörner aufsetzte, um für einen Skandal zu sorgen, der auch ihm zu Ohren kommen musste. Sie war gegen ihren Willen mit ihm verheiratet worden und verachtete den Kerl.«
»Und deswegen hat sie ihm einen Bastard angehängt?«
James zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung, was sie getan hat. Ich weiß nur, dass sie sich eine Saison lang durch die Londoner Betten schlief und dann aufs Land zurückkehrte. Soweit ich mich erinnere, ist sie nie wieder aufgetaucht. Aber das war jetzt reine Spekulation, mein Liebling. Vielleicht hat Julia recht, und Richards alter Herr ist einfach kein normaler Vater.«
»Richard hat ihn als Tyrannen bezeichnet und auch etwas von Schlägen erwähnt«, erklärte Julia leise. Dann fügte sie hinzu: »Was Richard aber nicht davon abgehalten hat, gegen ihn zu rebellieren.«
James nickte. »Ich schätze, nun kommen wir der Sache näher. Manford wäre nicht der Erste, der von seiner Familie absoluten Gehorsam verlangt und zu immer härteren Strafen greift, wenn er seinen Willen nicht bekommt. Richard hat sich dem Zorn seines Vaters etliche Jahre entzogen. Nachdem die Gefahr bestand, dass er das erneut tun könnte, hat Manford, als er ihn endlich in die Finger bekam, vermutlich sein letztes Register gezogen, indem er zu dieser Maßnahme griff. Immerhin ist der Junge der Grund, warum er nach wie vor nicht an das Vermögen herankommt, auf das er schon so lange spekuliert. Es klingt ja keineswegs so, als hätte er vor, Richard für immer in der Strafkolonie zu lassen.«
»Nein, das hat er in der Tat nicht vor«, bestätigte Julia in gepresstem Ton. »Er geht davon aus, dass Richards Wille durch diese grausame Erfahrung ganz und gar gebrochen wird. Er
hat mir gegenüber sogar angedeutet, dass er seine Freisetzung erst dann veranlassen werde, wenn diese Bedingung erfüllt sei.«
Für einen Moment herrschte im Raum Schweigen. Dann stand Ohr abrupt auf. »Ich versuche in Erfahrung zu
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