Im Taumel der Sehnsucht
nie gefährdet.« Er hatte mit einem amüsierten Unterton gesprochen, und Caroline mußte unwillkürlich lächeln.
Bradford war einen Augenblick von ihrem zauberhaften Lächeln aus dem Konzept gebracht. Das vergnügte Funkeln, das in ihren Augen aufblitzte, war wirklich ganz reizend.
»Sie haben sich aber ziemlich leicht überreden lassen«, stellte Caroline fest. Sofort bereute sie, daß sie ihren Gedanken ausgesprochen hatte, denn der Mann kam nun mit alarmierend selbstbewußten Schritten auf sie zu. Er lächelte nicht. Offenbar mangelte es ihm an Humor, und sie ertappte sich dabei, wie sie unwillkürlich zurückwich.
Seine finstere Miene machte sein attraktives Äußeres zunichte, und Caroline kam zu dem Schluß, daß er viel zu groß und zu breit war. Ja, er war fast so massig wie Benjamin, der nun, wie Caroline mit Erleichterung sah, lautlos hinter dem Fremden herangeschlichen kam.
»Hätten Sie mein Pferd erschossen, wenn die Pistole geladen gewesen wäre?« fragte der Fremde drohend. Der Muskel in seiner rechten Wange zuckte bedenklich, und Caroline beeilte sich, ihm eine Antwort zu geben.
»Natürlich nicht. Das Tier ist viel zu schön, um es zu töten, und außerdem kann es ja nichts dafür. Sie dagegen ...«
Bradford hörte ein Knirschen von Kies hinter sich, wirbelte herum und stand Benjamin Auge in Auge gegenüber. Die beiden betrachteten einander eine lange Weile, und Caroline stellte fest, daß der Fremde von der beeindruckenden Gestalt ihres Freundes keinesfalls eingeschüchtert schien. Er wirkte eher neugierig, was einen deutlichen Unterschied zu Mr. Smith' Reaktion darstellte.
»Gibst du mir bitte den Beutel mit der Arznei, Benjamin? Über den da mußt dir keine Sorgen machen«, fügte sie mit einer Kopfbewegung zu Bradford hinzu. »Er ist offenbar ein Freund von Mr. Smith!«
»Mr. Smith?« fragte Bradford und wandte sich zu dem Gentleman um, der ihn durchs Fenster der Kutsche angrinste.
»Heute heißt er Harold Smith«, erklärte Caroline. »Er möchte mir seinen wahren Namen nicht sagen, da er sich in einer recht unangenehmen Situation befindet. Ich habe vorgeschlagen, ihn George zu nennen - nach Ihrem König -, aber das wollte er nicht, und so haben wir uns auf Harold geeinigt.«
In diesem Moment kam Charity um die Ecke gehastet. Sie hatte ihren Rock ein gutes Stück über ihre wohlgeformten Fußknöchel gerafft, während sie anmutig auf sie zueilte. Caroline war froh über die Ablenkung, denn dieser Bradford starrte sie immer noch auf eine höchst irritierende Weise an. Diese Engländer waren wirklich ein merkwürdiges Volk.
»Caroline! Der unmögliche Kutscher weigert sich, aus den Büschen zu kommen!« keuchte Charity, als sie herangekommen war. Sie blieb neben Benjamin stehen und bedachte ihn mit einem kurzen Lächeln, bevor sie erst Bradford und dann den Mann hinter ihm ansah, der aus dem Kutschenfenster blickte. »Ist die Gefahr vorbei? Der Kutscher hat versprochen, auf seinen Posten zurückzukehren, wenn die Luft wieder rein ist.« Erklärend fügte sie hinzu: »Er hat mich geschickt, um herauszufinden, wie die Dinge stehen.« Sie legte ihre zarte Stirn in Falten. »Caroline, wir sollten umdrehen und augenblicklich wieder nach London zurückkehren. Ich weiß, ich bin diejenige gewesen, die unbedingt zum Landhaus deines Vaters reisen wollte, aber ich sehe jetzt ein, wie dumm meine Idee war. Laß uns zum Stadthaus fahren, Cousine. Von dort können wir ihm eine Nachricht schicken.«
Bradford blickte von einer Frau zur anderen, betrachtete die plappernde Blondine, die ihm wie ein Wirbelwind vorkam, sah das Mädchen mit der Waffe an und fragte sich, wie in aller Welt diese beiden verwandt sein konnten. Ihr Verhalten und ihr Aussehen waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Charity war zierlich und klein, ihre goldenen Locken tanzten um ihre Schultern, als führten sie ein Eigenleben, und ihre haselnußbraunen Augen funkelten spitzbübisch. Caroline war bestimmt einen halben Kopf größer, hatte schwarzes Haar und erstaunlich klare, blauviolette Augen, die von dichten Wimpern umrahmt waren. Beide waren schlank. Charity war hübsch; ihre Cousine konnte nur als schön bezeichnet werden.
Sie unterschieden sich nicht nur in Äußerlichkeiten. Die kleine Blonde wirkte flatterhaft, ihrem Blick mangelte es an Konzentration und Eindringlichkeit. Sie hatte es noch nicht ein einziges Mal geschafft, ihm in die Augen zu sehen. Offenbar war sie trotz ihres überschäumenden Gehabes ein wenig
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