Im Taumel der Sehnsucht
Bradford zog die Augenbrauen hoch. In ihrer Stimme hatte eine Verachtung mitgeklungen, die ihn überraschte.
»Haben Sie etwas gegen Iren?« fragte er. Caroline blickte zu ihm auf, und er sah den Zorn in ihren Augen. Unwillkürlich fragte er sich, ob ihre Gefühle immer so intensiv waren - liebte sie genauso heftig wie sie haßte? Dann verwarf er verärgert diesen lächerlichen Gedanken.
»Die Iren, denen ich begegnet bin, waren alle Schufte«, antwortete Caroline. »Mama sagt, ich dürfte nicht verallgemeinern, aber ehrlich gesagt fällt mir das manchmal sehr schwer.«
Sie seufzte und wandte sich wieder ihrer Aufgabe zu. »Vor einigen Jahren wurde ich einmal von drei Iren überfallen. Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn Benjamin nicht noch rechtzeitig zur Stelle gewesen wäre. Wahrscheinlich würde ich dann jetzt nicht hier sein.«
»Ich kann mir kaum vorstellen, daß irgend jemand Sie überwältigen könnte«, bemerkte Mr. Smith.
Es hatte sich wie ein Kompliment angehört, und Caroline nahm es als solches. »Damals wußte ich noch nicht, wie man sich selbst schützt. Meine Vettern waren schrecklich aufgebracht über den Vorfall, und von diesem Tag an wechselten sie sich damit ab, mir beizubringen, wie ich mich verteidigen kann.«
»Die Frau ist ein wandelndes Waffenlager«, sagte Mr. Smith zu seinem Freund. »Sie meint, sie müsse sich vor London schützen!«
»Möchten Sie schon wieder eine Diskussion über die Unterschiede zwischen den zivilisierten Kolonien und dem Sündenpfuhl London anfangen, Mr. Smith?« fragte Caroline mit einem vergnügten Funkeln in den Augen. Sie wollte ihn necken, um ihn von den Schmerzen abzulenken, während sie mit sanften, sicheren Bewegungen den Streifen Stoff um seinen Oberschenkel wand.
Mr. Smith' Gesicht hatte schon wieder eine gesündere Farbe angenommen. »Ich fühle mich schon beträchtlich besser. Ich schulde Ihnen mein Leben, gute Frau.«
Caroline tat, als hätte sie die Bemerkung nicht gehört, und wechselte rasch das Thema. Komplimente und Dankbarkeit machten sie stets verlegen. »In zwei Wochen können Sie wieder mit den Ladies tanzen«, versprach sie. »Sie nehmen doch bestimmt an den großen Ereignissen der Gesellschaft teil, nicht wahr? Gehören Sie vielleicht sogar zu den - wie sagt man? - oberen Zehntausend?«
Ihre unschuldige Frage löste einen Hustenanfall bei Mr. Smith aus. Es hörte sich an, als wäre etwas in seiner Kehle steckengeblieben. Caroline sah ihn stirnrunzelnd an und warf dann Bradford einen Blick zu. Er wirkte amüsiert, und sie fand, daß die kleinen Lachfältchen in seinen Augen ihn fast attraktiv machten.
Während sie ihn betrachtete, kam sie zu dem Schluß, daß Bradford kein Geck war. Diese Feststellung enttäuschte sie fast. Ja, sicher waren er und Mr. Smith in der gleichen Art und Weise gekleidet, aber sie war überzeugt, daß Bradford kein hauchzartes Spitzentüchlein bei sich hatte. Und sie glaubte auch nicht, daß sich sein Schenkel so weich und zart wie ein Babypopo anfühlen würde. Nein, wahrscheinlich würde er rauh sein ... und hart! Er wirkte weit muskulöser als Mr. Smith. Er war groß, kräftig und massig, aber alles sah fest aus. Vermutlich konnte er einen Gegner allein mit seinem Gewicht erdrücken. Wie benahm er sich wohl Frauen gegenüber? Caroline spürte, wie ihr bei dem Gedanken das Blut in die Wangen stieg. Was war denn mit ihr los? Wie konnte sie sich nur einen Mann ohne Kleider vorstellen? Und noch schlimmer: Wie konnte sie sich nur vorstellen, wie er eine Frau berührte? Himmel, was für unschickliche Gedanken!
Bradford bemerkte das zarte Erröten und nahm an, daß sie glaubte, sein Freund würde sich über sie lustig machen. Also beantwortete er ihre Frage. »Wir gehören tatsächlich dazu, aber Mr. Smith nimmt häufiger an irgendwelchen gesellschaftlichen Ereignissen teil als ich.« Da er keine Lust hatte, ihr zu erklären, daß er praktisch überhaupt nicht mehr auf Partys ging, weil sie ihn zu Tode langweilten, wechselte er das Thema. »Sie sagten, daß Sie Ihren Vater besuchen wollten. Sie leben also in den Kolonien? Mit Ihrer Mutter, nehme ich an?«
Bradford wollte soviel wie möglich über diese schwarzhaarige Schönheit herausfinden. Warum das so war, wußte er selbst nicht, er weigerte sich jedoch, darüber nachzudenken. Es war einfach ein simples Interesse an einer Zufallsbekanntschaft, nichts weiter, redete er sich ein.
Caroline runzelte die Stirn. Es wäre natürlich sehr unhöflich gewesen,
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