Im Taxi - unterwegs in Kairo
der Einzige, der hier reisen kann, gewiss nicht der Afrikaner, sondernder weisse Herr ist, der auch die Türen Afrikas geschaffen hat, die sich nur für ihn öffnen. Die Zeiten Ali Babas, als ein einfaches »Sesam, öffne dich!« genügte, sind längst vorbei.
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Ich war in der Dozentenwohnsiedlung in Saft al-Laban, gleich hinter der Universität Kairo, auf der anderen Seite der Eisenbahnlinie. Der Ort ist ein anschauliches Beispiel für Kairos misslungene Stadtplanung. Das Dorf Saft al-Laban ist von Ackerland umgeben. Wegen Kairos ungehemmter Expansion wurden dort aber Hochhäuser aus Gasbeton â die Verkörperung einer abstossenden urbanen Architektur â gleichsam mit dem Fallschirm abgesetzt. Leute von ausserhalb sind im Dorf gelandet, und auch die Dozentenwohnsiedlung ist von der Venus heruntergefallen und von einer hohen Mauer umgeben, die den Erdlingen den Zutritt verwehrt.
Als ich die Siedlung (die natürlich nichts weiter ist als eine Ansammlung von ein paar Wohnblocks, in denen die Venusianer leben) in Richtung Saft al-Laban verliess, nachdem ich mir eingehend die Architektur und die Bewohner angeschaut hatte, erkannte ich das Ausmass der Tragödie. Der Ort war eine charakterlose Missgestalt geworden.
Eine schöne Frau ging an mir vorbei; sie trug eine ländliche Gallabija und billige Ohrringe, aber mit ihrer geraden Nase sah sie aus, als stammte sie aus der Stadt. Sie lief zum schmutzigsten Markt, den ich je gesehen habe.
Hinter dem Markt tauchten ganze Legionen von Kindern auf, die gerade aus der Schule kamen, zuerst eine grosse Gruppe von Grundschülerinnen, alle mit Kopftuch, dahinter eine Schar Buben in ihren verwaschenenbräunlichen Schuluniformen. Sie gingen links und rechts an mir vorbei, als wäre ich ein körperloser Geist. Ich fühlte mich etwas angespannt, obwohl ich mich sonst über den Anblick von Kindern freue.
Dann sah ich ein Taxi, das gerade aus der Stadt kam, und rannte darauf zu, in der Hoffnung, es würde mich aus diesem Chaos herausholen.
»Wohin soll ich Sie bringen?«, fragte mich der Fahrer.
»Irgendwohin, Hauptsache weg von hier.«
»Richtung Universität?«
»Ja, fahren Sie!«
Aber er fuhr nicht los, wie ich gehofft hatte, denn die Strasse war mit Dutzenden Minibussen ohne Nummernschilder verstopft, die von Asphaltteufeln gesteuert wurden. Zu meiner Rechten sah ich einen Buben von etwa fünf Jahren auf ein wenig älteres Mädchen zugehen. Er nahm ihre Hand, damit sie ihm helfe, die überfüllte Strasse zu überqueren. Er sah verängstigt aus, und ein Teil seiner Uniform war zerrissen. Sie hingegen schien überzeugt, dass sie mit ihm zwischen den Autos sicher hindurchkäme.
Auch ich fühlte mich nun sicher, und meine innere Spannung löste sich allmählich. »Schauen Sie nur, wie süss die Kinder sind«, sagte ich.
»Klar sind sie süss, aber ihre Eltern sind verrückt.«
»Wie meinen Sie das?«
»Die spinnen doch, dass sie ihre Kinder in die Schule schicken.«
»Was sollten sie denn sonst tun?«
»Die Kinder lernen doch nichts in der Schule. Sobald sie zehn Jahre alt sind, blechen die Eltern für Nachhilfeunterricht. Zum Schluss sind die Eltern pleite, und die Kinder finden keinen Job. Das ist doch reiner Wahnsinn!
Ausserdem sehen Sie ja, wie diese Kinder tagtäglich die Strassen verstopfen. Sie gehen zur Schule, sie kommen aus der Schule: Sprit, Umweltverschmutzung, Dreck und Lärm für nichts und wieder nichts.
Ein paar Freunde und ich, wir haben unsere Kinder nach der Grundstufe von der Schule genommen. Das Geld für die Nachhilfestunden sparen wir für sie. Wenn unsere Söhne und Töchter einundzwanzig Jahre alt sind, geben wir ihnen das Geld, das sonst ihre Privatlehrer bekommen hätten. Was glauben Sie, mein Herr, ist es nicht besser für die Kinder, wenn sie ihr eigenes Leben mit ein bisschen Geld in der Hand starten können statt mit einer sinnlosen Schulbildung, die ihnen gar nichts nützt?
Ich sage den Leuten immer: Schickt eure Kinder nicht zur Schule! Schickt eure Kinder nicht zur Schule! 58 Das ist meine einzige Mission im Leben.«
»Aber meine Eltern haben alles in meine Ausbildung gesteckt und mir kein Geld vermacht. Erst dadurch konnte ich arbeiten und leben«, wandte ich ein.
»Ja, das war früher, in den Sechzigern. Doch heute lautet die Devise: âºWer klug ist, macht
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