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Im Taxi - unterwegs in Kairo

Im Taxi - unterwegs in Kairo

Titel: Im Taxi - unterwegs in Kairo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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Information?«
    Â»Einer aus meiner Heimatstadt hat seinen Sohn bei diesem Unglück verloren, der als Maurer in Saudi-Arabien gearbeitet hatte. Der Vater ist regelmässig nach Safâga gefahren, was ihn fast um den Verstand gebracht hat, und hat mir erzählt, was dort los war. Das war schlimm, chaotisch und herzzerreissend. Niemand in diesem Land bekommt sein Recht. Am Ende hat dieser Mann gar nichts erreicht und flucht ohne Ende auf die Regierung, den Besitzer der Fähre und die ganze gottverdammte Welt.
    Und schliesslich: Wer ist denn auf der Fähre ertrunken? Einfache Arbeiter, die nach Saudi-Arabien gehen, um dort im Schweisse ihres Angesichts für einen Hungerlohn zu schuften. Das Flugzeug ist zu teuer für sie, also nehmen sie die Fähre, um Geld zu sparen. Das waren bloss ein paar arme Schlucker. Unglücke stossen heutzutage ja nur den Armen zu. Sie nehmen sich einen nach dem andern vor, und irgendwann sind auch wir dran. Und bei alldem wollen Sie, dass ich freiwillig zum Krankenhaus fahre?«

47
    Als ich ins Taxi stieg, war ich überrascht, neben dem Fahrer einen Mann sitzen zu sehen, der still vor sich hinweinte. Er war ein dunkelhäutiger Hüne mit einem buschigen Schnurrbart. Die Stille war so undurchdringlich wie sein Schnauzer und die Nacht spät. Das einzige Geräusch war der unregelmässige Atem des schluchzenden Riesen.
    In unserer Gesellschaft sieht man selten einen Mann weinen. Aber ein heulender Riese aus Oberägypten müsste eigentlich ins Guinnessbuch aufgenommen werden. Die Stille dauerte noch eine Weile an, dann nahmen die Männer ihr Gespräch wieder auf. Es fühlte sich an wie eine elektrische Entladung zwischen den beiden, die sich auf mich übertrug.
    Die Stimme des Riesen war gebrochen, die des Fahrers voller Trauer, und in ihrem Gespräch zeigte sich ein tiefer Schmerz. Wie Teile eines Puzzles setzte sich ihre Geschichte vor mir langsam zusammen, aber das Gesamtbild gewann erst Kontur, als ich zu Hause eintraf.
    Der Riese war Taxifahrer in Alexandria. Er war an diesem Tag gekommen, um von seinem Bruder, eben unserem Taxifahrer, etwas Geld zu leihen. Aber einem nackten Mann könne man nicht in die Tasche greifen, entgegnete dieser.
    Nachdem er lange Taxi gefahren war, hatte sich der Riese in den vergangenen Jahren dreimal an der Wirbelsäule operieren lassen müssen. Die letzte Operationlag erst vier Monate zurück. Sein Arzt hatte ihm untersagt, weiter Taxi zu fahren, um seine Wirbelsäule nicht noch mehr zu schädigen. Schon bevor er aus dem Krankenhaus entlassen wurde und eine langwierige Physiotherapie begann, hatte er seinen gesamten Besitz verkauft und sich überall Geld geliehen. Er liess sich detailliert über seine unerträglichen Rückenschmerzen aus, aber seine Ehre habe es ihm nicht erlaubt zu weinen, besonders nicht vor seiner Frau und den Kindern. Als schliesslich alle Einnahmequellen versiegt waren, musste seine Frau eine Arbeit als Dienstmädchen bei einer ehemaligen Tänzerin annehmen, die noch geiziger war als Vater Grandet in Balzacs Roman Eugénie Grandet. Und das, obwohl er geschworen hatte, dass sie niemals arbeiten dürfe, solange er noch am Leben sei.
    Noch heute müsse er einen Scheck über tausend Pfund ausstellen, die er sich vor der Operation geliehen hatte. Wenn er das Geld nicht zurückzahle, drohe ihm Gefängnis. An wen auf der ganzen Welt solle er sich denn wenden, wenn nicht an seinen Bruder?
    Der hatte sich zwar vor einer Weile der gleichen Operation unterziehen müssen, arbeitete aber noch immer als Taxifahrer. Das Problem sei, sagte er, dass wohl eher ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass er tausend Pfund auftreiben könne. Er habe gerade begonnen, seinen Kühlschrank in Raten abzubezahlen, die Anzahlung habe bereits den Betrag aufgebraucht, den er für die Erneuerung seines Taxiführerscheins zurückgelegt hatte. Sogar wenn er seineFrau verkaufe, brächte er die tausend Pfund nicht zusammen.
    Das Gespräch zwischen den Brüdern verlief ruhig. Ich hatte den Eindruck, dass Zuneigung und Zahlungsunfähigkeit die beiden noch mehr zusammenschweisste. Eigentlich war der Dialog so melodramatisch wie in einem Bollywood-Film, mir als Zuschauer fehlten bloss einige indische Songs und Tänze. Man kam sich vor wie in einer Schnulze mit Amitabh Bachchan 65 .
    Während des gesamten Gesprächs nahmen mich die beiden überhaupt nicht wahr, so als

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