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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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ausgemacht, wie er die Verwandlung des Pferdeburschen aufnehmen würde.
    Knusprige Hühnerschlegel und ein kleiner Stapel frischgebackener Tortillas dampften auf dem Schemel neben seinem Lager, doch über seiner Verwirrung schien Robert selbst seinen Appetit vergessen zu haben. Dabei mußte er ganz und gar ausgehungert sein, wie Helen sich sagte: Nachdem er just zu Ixnaays Abschied erwacht und in seinem entkräfteten Zustand gleich bis auf die Tempelruine geklettert war, hatte er in der Nacht darauf einen Rückfall erlitten. Das Fieber war zurückgekehrt, allerdings nur in milder Form, und er hatte weitere zwei Tage lang wie ein Toter geschlafen. Mit seinem heutigen Erwachen aber schien die Krise gebrochen: Aus Roberts wasserblauen Augen, die sie nach wie vor so erfreut wie verständnislos musterten, glitzerten eine Frische und Unternehmungslust, wie sie es nie zuvor bei ihm gesehen hatte.
    »Henry?« wiederholte Robert, in so kläglich zaghaftem Ton, daß sie sich beherrschen mußte, um nicht laut aufzulachen. Seine Hand bewegte sich von neuem auf sie zu, wagte aber noch immer nicht, ihre Rechte zu berühren, die verlockend auf seiner Bettdecke lag, halb geöffnet und ihm zugewandt. Und dann fragte er plötzlich, mit gänzlich entgeisterter Miene: »Miss... Harmess - Helen Harmess?«
    Nun war es an ihr, ihn verständnislos anzusehen. Woher kannte er ihren Namen - vielmehr den Namen, unter dem sie in Fort George aufgewachsen war? Sie starrte ihn an, mit einem törichten Lächeln, und dann erst fiel ihr ein, daß ja sie selbst ihm vor Monaten ihren Namen genannt hatte, bei ihrem Zusammenstoß im Park des Gouverneurs. Aber damals war sie sich täppisch und zudringlich vorgekommen, und nie im Leben hätte sie zu hoffen gewagt, daß ihr Zusammenprall zwischen tropfnassen Parkbüschen in seinem Gedächtnis haftengeblieben war.
    »Die bin ich und auch wieder nicht...« Stockend und stotternd versuchte sie zu erklären, wie Miss Harmess sich in den Burschen Henry verwandelt hatte und schließlich aus diesem die jetzige Helen hervorgegangen war, eine in Abenteuern und Desastern gereifte Person, wie es ihr selbst schien, die ihre Wurzeln gesucht und darüber sich selbst gefunden hatte - und den Mann, den sie wie keinen anderen auf der Welt liebte. Diesen letzten Punkt ließ Helen allerdings nur von Ferne anklingen, und ohnehin hatte sie darauf bestanden, daß Robert Thompson seinen Hühnerschlegeln und Tortillas zusprach, während sie ihm (und sich selbst) begreiflich zu machen versuchte, wer die junge Frau auf seiner Bettkante war, die er immer wieder mit unberatenem Entzücken in den Blick faßte.
    Vor der Hüttentür wanderte die Sonne langsam über den Lehmplatz, beschien das Langhaus voll verwundeter Krieger und zog hinüber zur Tempelruine, über der Ixnaays Silberbarke im Wipfel der Ceiba schwebte. Vorgestern waren drei Mayafrauen aus einem entfernten Dorf im Dschungel hier eingetroffen, kundige Heilerinnen, wie sich herausgestellt hatte. Mit einem Gefühl tiefer Erleichterung hatte Helen den Frauen gezeigt, wie Ixnaays Salben und Tinkturen anzufertigen waren, und die Verwundeten im Langhaus ihrer Obhut übergeben. Seitdem war sie in Gedanken immer öfter, immer sehnsuchtsvoller nach Fort George zurückgekehrt. Aber noch schien es ihr zu gefährlich, diesen Ort zu verlassen, der ihnen zumindest einigermaßen Schutz bot.
    Allmählich wurden die Schatten auf dem Lehmplatz wieder länger, das Dämmerlicht in ihrer Hütte noch fahler, doch Helen und Robert bemerkten nichts davon. Nach kurzem Zögern und mit befangenem Lachen waren sie dazu übergegangen, einander beim Vornamen zu nennen. Auch Robert hatte von sich zu sprechen begonnen, anfangs stockend und tastend, doch bald schon waren die Worte aus ihm hervorgeströmt, wie wenn ein Stauwehr aufgesprungen wäre. Aufrecht auf seiner Lagerstatt sitzend, seine Hand nun um Helens Rechte geschlossen, hatte er ihr berichtet, ohne irgend etwas zu verschweigen oder zu beschönigen: von dem Zerwürfnis mit seinen Eltern, die auf der Welt nichts außer Profiten und Etiketten achteten, von dem Zauber, den für ihn seit jeher Catherwoods Zeichnungen verströmten, von seiner Verlobung mit der kalten Mary und dem alles in allem unheilvollen Einfluß, den der Magnetiseur Grimaldi auf ihn ausgeübt hatte.
    »Stell dir nur vor«, sagte er, »eigentlich bin ich hierhergekommen, in die karibische Wildnis, um mit mir Schluß zu machen.« Er hielt inne, mit einem erstaunten Lächeln, weil er

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