Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
kleineres Gebäude. Es sah aus wie ein umgebautes Kinderspielhaus oder eine Gartenhütte mit einer einzelnen Tür und einer kleinen Veranda. Dieses seltsame Miniaturhaus jagte ihm Angst ein. Es erinnerte ihn an die verlassenen Gebäude, die sie im Wald gesehen hatten. Diese Hütte war sehr alt. Genauso wie dieses Zimmer und das ganze Haus. Alles um ihn herum war uralt und vernachlässigt. Die Gerüche, die in der Luft hingen, kamen ihm sehr fremd vor. In diesem Haus roch es genau wie im Wald. So wie mitten in diesem dunklen, von Feuchtigkeit triefenden Urwald, der sich jenseits des grasbewachsenen Grundstücks schwarz und mächtig und undurchdringlich ausdehnte.
Plötzlich wurde er von Panik ergriffen, als ihm der Gedanke kam, dass der Scheiterhaufen dort draußen womöglich für ihn gedacht war. Und dass diese jungen Leute vorhatten, ihn dort zu verbrennen.
Er zwang sich dazu, diese schreckliche Vorstellung aus seinem Gehirn zu verbannen, und kämpfte den Panikanfall nieder, der ihn zu erfassen drohte. Die waren doch einfach bloß jung und betrunken. Immerhin hatten sie ihn gerettet. Sie nahmen einfach nichts ernst, sie waren Teenager. Sie suchten das Besondere, das Aufregende. Das war alles. Bestimmt war längst jemand losgegangen, um einen Arzt zu holen.
Aber warum hatten sie die Tür abgeschlossen? Luke drehte langsam den Kopf und sah zur Tür. Damit er … geschützt war . Aber wovor?
Luke schlich, so schnell er sich traute, durch das Zimmer zur Tür und spürte dabei den schmutzverkrusteten Holzboden unter den nackten Füßen. Angenommen, dieser Schmerz in seinem Schädel ginge irgendwann zurück und er könnte sich wieder besser bewegen, wäre es dann möglich, sich aus eigener Kraft und ganz leise aus diesem Gefängnis zu befreien? Das kleine
Fenster war zu eng, um hindurchzuklettern, also blieb ihm nur die Tür als Ausweg.
Er drehte an dem schwarzen Türknauf. Abgeschlossen. Das hatte er sich schon gedacht, aber vielleicht konnte man das Schloss irgendwie knacken. Das Haus war alt, die Tür schmal, sie sah ziemlich morsch aus. Als er am Knauf ruckte und seine nackte Schulter gegen das Holz drückte, stellte er fest, dass die Tür stabiler und schwerer war, als sie aussah. Außerdem war sie verzogen und hing verkeilt im Rahmen. Man konnte sie nur minimal bewegen. Seine eben aufgekeimte Hoffnung auf einen einfachen Fluchtweg erlosch schlagartig.
Er beugte sich vor und wartete, bis die heftigen Schmerzwellen in seinem Schädel abgeebbt waren. Dann ging er wieder zum Fenster zurück.
Dort unten auf der Wiese hatten Fenris und Loki ihre T-Shirts ausgezogen und setzten ihre nackten Oberkörper der kalten Abendluft aus. Abgesehen von den Tätowierungen waren sie blass wie Maden, ihre Brustkörbe glatt, die Oberarme lang und dünn und ebenfalls mit schwarzen schnörkeligen Tattoos verziert. Ihre langen schwarzen, filzigen Haare hingen rechts und links von ihren jugendlichen weißen Gesichtern wie Tücher herab. Ihm war bis jetzt noch gar nicht aufgefallen, wie lang Lokis Haare waren. Sie reichten ihm wie ein Vorhang bis zu den Hüften. Seine Oberschenkel waren spindeldürr. Um den Oberkörper hatte er eine Art Patronengurt gelegt, der seinen Brustkorb kreuzte. Er war aus schwarzem Leder gefertigt und genietet. An den Unterarmen trugen beide jungen Männer vom Handgelenk bis zum Ellbogen Lederbänder, die mit langen silbernen Nägeln beschlagen waren.
Ihre Gesichter waren zu eigenartigen Grimassen verzerrt. Sie schauten mit weit aufgerissenen Augen zum dunkler werdenden Himmel auf und gaben idiotische Schreie von sich, während sie die Arme ausbreiteten. Luke konnte das Mädchen nirgends sehen.
Mit einem Mal brach donnernder Black Metal aus dem CD-Player
hervor. Das Gerät befand sich außerhalb seines Blickwinkels, also war es wohl von dem Mädchen eingeschaltet worden, das nun in sein Sichtfeld trat. Sie war nackt. Ihre Hinterbacken und ihre Brüste wabbelten, während sie herumrannte. Auf ihrer Haut waren keine Tätowierungen zu sehen, und ihre Füße waren sehr klein. Absurd klein. Auch ihre Haut war sehr blass, beinahe schon leuchtend weiß. Sie hatte die Maske auf den Kopf gesetzt und war jetzt wieder der Hase. Ihr Kopf sah übergroß und zottig aus. Ihr Schatten wirkte im orangefarbenen Licht, das aus dem Haus fiel, beunruhigend.
Ungeschickt leerte Fenris den Benzinkanister aus. Silbrig spritzend ergoss sich die Flüssigkeit über das Holz. Loki holte ein Zippo-Feuerzeug aus der Hosentasche, und Luke
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