Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
Vom Netzwerk:
blieb dicht hinter ihm, aber nur so nah, dass er noch genug Platz zum Umdrehen und Hinunterrennen hatte, falls Hutch eine falsche Bewegung machte. Der Griff des Messers schmerzte in seiner Hand. Er fasste es etwas lockerer.
    »Siehst du was?«, flüsterte Luke, während er nach oben in den dunklen Schacht spähte, durch den sie sich schwerfällig quetschten. Es war ein enger Durchgang, und es roch dort wie in dieser alten Kate, die er als Kind auf einem verwilderten Grundstück erkundet hatte: nach Katzenpisse und Müll.
    »Nee«, sagte Hutch angespannt, es klang, als hielte er den Atem an.
    Lukes Herz schlug so heftig, dass es seine Brust zu sprengen drohte. Der Lichtkegel der Taschenlampe beleuchtete die seltsamen Dinge, die sich dort oben befanden. Die uralten dunklen Wände waren bedeckt mit bärtigen Gesichtern, die aber tatsächlich nichts weiter waren als Muster im ausgebleichten Holz. Alles hier schien so alt zu sein, dass es in ein Museum gepasst hätte.
Mit einem Mal spürte er einen gewissen Respekt für Phil, der hier ganz allein hinaufgegangen war.
    Der Gedanke an die Menschen, die ohne elektrisches Licht und ohne Strom in diesem modrigen Wald gelebt hatten, erfüllte Luke mit so viel Traurigkeit, dass er das Gefühl hatte, das ganze Elend müsse ihn zu Boden drücken. Es waren einfache Leute gewesen, ein altes Paar, dessen einziger Trost das Kreuz gewesen war. Irgendwann war der eine gestorben, und der andere musste in dieser trostlosen und unerträglichen Einsamkeit weiterleben.
    Er versuchte, diese schrecklichen Gedanken abzuschütteln. Sie konkurrierten mit der Angst, die sich in ihm ausgebreitet hatte. Dies hier war kein Ort für einen normalen Menschen, ganz bestimmt nicht. Das spürte er instinktiv. Hier musste man ja durchdrehen, hier wurde man Opfer dieser Verrücktheit, die einen dazu brachte, Schädel an die Wände zu nageln. Sogar die düstere kalte Luft schien über sie hinwegzuziehen, als verfolgte sie ihre eigenen Ziele. So etwas zu denken, war dumm und irrational, aber in seiner Vorstellung wurde das Haus von irgendetwas bewohnt, das sie noch nicht zu Gesicht bekommen hatten. Sie selbst wirkten klein und zerbrechlich in dieser Umgebung. Sie waren wehrlos. Sie waren nicht willkommen.
    Hutch spähte um den Treppenabsatz. Luke sah sein Profil im Licht der Taschenlampe. Diesen Gesichtsausdruck hatte er bei Hutch bislang noch nicht bemerkt. Er sah bleich und abgehärmt aus, als hätte er sehr schlechte Nachrichten erhalten. Seine weit aufgerissenen, feucht glänzenden Augen wirkten unendlich traurig. »Okay«, flüsterte Hutch. »Nur ein paar Schritte und dann kommt ein Zimmer. Sieht wie eine Dachkammer aus. Ich kann die Ziegel sehen. Es ist ziemlich feucht hier oben.«
    »Ganz ruhig, Hutch, mach langsam«, flüsterte Luke ihm zu. Unter ihm knarrte die Treppe erbärmlich, und er fragte sich, ob er genug Mut hatte, die letzten Stufen hinaufzusteigen. Er hielt den Atem an und zwang sich, seinem Freund zu folgen.

    Hutch war jetzt drei Schritte voraus und blieb stehen. Mit herabhängenden Schultern und vorgestrecktem Kopf starrte er etwas an, das sich vor ihm in der Dachkammer befand, das Luke aber von der zweitobersten Stufe, wo er stand, nicht sehen konnte. Hutch schluckte lautstark. Er hatte es also auch entdeckt. Er sah jetzt genau das, was Phil völlig verrückt gemacht hatte.
    »Was?«, flüsterte Luke. »Hutch, was ist es?«
    Hutch schüttelte den Kopf. Er krümmte sich. Er sah aus, als wollte er in Tränen ausbrechen. Er schüttelte erneut den Kopf und stöhnte.
    Luke wollte das Ding eigentlich gar nicht sehen, aber er spürte, wie seine Füße ihn nach oben zwangen. »Ist alles okay? Ist alles okay? Ist alles okay?«, flüsterte er und merkte dann, dass er es dreimal hintereinander ausgestoßen hatte. Den Anblick von noch mehr Blut würde er heute nicht ertragen.
    »Das ist nicht gut«, sagte Hutch mit der Stimme eines kleinen Jungen. Luke schaute ihn von der Seite her an. Er stieg die letzte Stufe nach oben und blieb neben seinem Freund stehen, dann wandte er sich mit großer Anstrengung um und sah in das Zimmer. Auf das, was ihre beiden Taschenlampen jetzt anstrahlten.

10
    Es schälte sich aus dem Schatten und wurde wieder eins mit dem Schatten.
    In der hintersten Ecke der Dachkammer saß eine Silhouette aufrecht und vollkommen ruhig zwischen den beiden schrägen Seiten des Daches. Die Stelle, die dieses Ding einnahm, war ein einziges Durcheinander und völlig dunkel oberhalb und

Weitere Kostenlose Bücher