Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual
was davon abbekommen.«
Phil grinste vor sich hin. »Wir sollten uns einen kleinen Schluck aufheben für den Moment, wenn wir endlich aus diesem Wald raus sind.«
»Daraus wird nichts. Das hier ist das Beste, was du zu dir nehmen kannst, wenn du durchnässt bist und frierst.« Hutch hielt inne, als wollte er lieber nicht sagen, was ihm auf der Zunge lag, wenn er an das dachte, was sie am kommenden Tag erwartete.
Sie hockten leicht nach vorn gebeugt auf ihren Schlafsäcken, die sie auf den Isomatten über dem schmutzigen Boden ausgerollt hatten, und genossen die Hitze, die von dem kleinen Ofen ausging. Am liebsten hätten sie ihre Köpfe ganz dicht vor die offene Ofentür gehalten, auch auf die Gefahr hin, sich das Gesicht oder zumindest die Augenbrauen zu versengen. Es war die erste Wärmequelle seit zwei Tagen.
Über dem Ofen, an vier Nägeln festgemacht, die vorher Tierschädel gehalten hatten, hingen an einer Zeltschnur ihre nassen, dampfenden Klamotten und trockneten langsam in der Hitze: vier schmutzige Fleece-Pullis und vier total verdreckte Hosen. Ihre Regenjacken hingen dahinter an weiteren Nägeln an der Wand. Alles, was sonst noch in ihren Rucksäcken nass geworden war, hatten sie unordentlich im ganzen Raum verteilt. Dom hatte alle Kruzifixe und Schädel abgenommen, damit sie die Nägel als Haken nutzen konnten. Das war auch so etwas, was Luke unangenehm war. Obwohl er nicht wusste, wieso eigentlich.
Er spürte, wie sich die Wärme des Whiskys in seinem Körper ausbreitete und der Alkohol seine Gedanken betäubte. Sein Gehirn war sowieso schon überstrapaziert und dankbar für das weiche Kissen des Vergessens oder zumindest für die Verheißung, dass er bald alles vergessen würde.
Im schummrigen Lichtschein des beruhigend vor sich hin flackernden Feuers, hinter dem sich die schwarzen Deckenbalken im dunklen Nichts verloren, sah Luke die unendlich müden Gesichter seiner Freunde rötlich angestrahlt und beinahe unwirklich. Er sah bestimmt auch nicht viel besser aus.
Doms unrasiertes, pelziges Gesicht glänzte silbrig im Feuerschein. Er wurde langsam grau. Sogar die Haare, die ihm ins
Gesicht hingen, waren ergraut. Unter seinen Augen lagen tiefdunkle Ringe. Dadurch wirkte er noch viel älter. Er hatte drei Kinder, um die er sich kümmern musste, und eine ziemlich große Hypothek abzuzahlen. Er hatte nichts Genaueres über seine momentanen Lebensumstände erzählt und an ihrem ersten gemeinsamen Abend in London auf Lukes Frage, wie es ihm gehe, nur knapp geantwortet: »Super, mir ist es nie besser gegangen.« Dass er nicht weiter ins Detail gehen wollte, war vielleicht bezeichnend. Außer an ihrem ersten Nachmittag in Stockholm, als er sich mit Phil eingehend über die Schulzeit unterhielt, hatte Dom seine Frau Gayle kein weiteres Mal erwähnt. Gayle, die klapperdürre, unglücklich wirkende Frau, die Luke zum ersten Mal auf Hutchs Hochzeitsfeier gesehen hatte.
Irgendwas stimmte nicht, das konnte er spüren. Dom hatte sich auf Hutchs Hochzeitsfeier furchtbar betrunken, genauso am Abend vor ihrer Abreise nach Schweden, dann wieder in Stockholm und in Gällivare, bevor sie losgewandert waren. Und bei jeder passenden Gelegenheit hatte er die anderen aufgefordert, ebenfalls viel zu trinken. Dazu fehlte Luke allerdings das nötige Kleingeld, in London und erst recht hier in Schweden. Er hatte es gerade mal geschafft, genug zusammenzukratzen, um seinen Anteil an dieser Reise zu bezahlen, und klammheimlich vermutete er, dass Hutch vor allem deshalb eine Camping-Tour vorgeschlagen hatte, damit er überhaupt teilnehmen konnte.
Doch trotz seiner aufbrausenden und großspurigen Art war Dom durchaus ein sensibler Mensch. Da konnte er Luke nichts vormachen. Er erinnerte sich noch daran, wie er während ihrer gemeinsamen Studienzeit immer wieder total zusammengebrochen war, wenn er Liebeskummer hatte. Damals hatten sie alle zusammen in der Hazelwell Terrace Nr. 3 in Birmingham gewohnt. Das war die schönste Zeit seines Lebens gewesen. Die schönste Zeit für sie alle, jedenfalls bildete er sich das ein.
Und vor dieser Reise hatte er sich Phils Gesicht nie anders als rosig und glänzend vorgestellt, so als wäre es gerade erst ordentlich saubergeschrubbt worden. Jetzt aber hingen seine Wangen herab, und sein sonst leicht gerötetes Gesicht war schmutzig. Ein entzündeter Kratzer zog sich oberhalb einer Braue über die Stirn. Gelegentlich hob er die Hand, um die Stelle vorsichtig zu betasten. Der hellblonde
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