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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Rhodes
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gefunden, und ich kriege weiter Briefe von dem Kerl geschickt. Ende der Geschichte.«
    »Ich an Ihrer Stelle hätte den totalen Schiss. Bringen sie Ihnen an der Uni bei, wie man seine Gefühle derart gut versteckt? Ich meine, schließlich können Psychologen nicht jedes Mal in Tränen ausbrechen, wenn ihnen jemand etwas Trauriges erzählt.«
    »Wahrscheinlich«, stimmte ich ihr mit einem neuerlichen Nicken zu.
    Es schien Angie zu erleichtern, dass mein Herz noch schlug. Es hätte zu lange gedauert, zu erklären, dass ich mir die Fähigkeit, meine Gefühle zu verbergen, schon in jungen Jahren selber angeeignet hatte, und vor allem hätte es sie sicherlich nicht gerade aufgebaut.
    Um zwanzig nach neun erreichten wir den Frühstücksraum, und ich blickte mich in der Erwartung, dass mir meine Freundin jeden Augenblick um den Hals fiel, nach Lolas feuerroten Haaren um, aber sie war offenkundig noch nicht da. Vielleicht war sie gestern Abend ausgegangen, um ihr Elend zu ertränken, auch wenn ich das für eher unwahrscheinlich hielt. Schließlich fand nachmittags noch eine Probe statt, und morgen trat sie zum ersten Mal vor großem Publikum im Cambridge Theatre auf. Sie hatte mich schon dazu eingeladen, mit ihrer Familie aus der ersten Reihe zuzusehen, wie sie ihre Beine schwang.
    Ich holte mir eine Schüssel Müsli, während Angie einen Haufen Toast auf ihren Teller lud, doch selbst als wir mit unserer zweiten Tasse Kaffee fertig waren, war Lola noch immer nirgendwo zu sehen. Und plötzlich wusste ich, wo meine Freundin war. Sie war inzwischen sicher schon auf halbem Weg nach Schweden oder fuhr bereits in einem Taxi in den Knast nach Göteborg, mit einer Tasche voll geborgten Geldes zur Bezahlung der Kaution für ihren Liebsten.
    »Oh Gott«, murmelte ich. »Ich glaube, meine Freundin ist gerade dabei, etwas unglaublich Dämliches zu tun.«
    »Aus Liebe?«, fragte Angie mich.
    »Wohl eher aus Lust.«
    Angie sah mich grinsend an. »Dann werden Sie es nicht verhindern können, denn gegen die Kräfte der Natur kommt man schließlich nicht an.«
    »Aber ich muss es auf jeden Fall versuchen. Denn wenn ich sie einfach machen lasse, wird sie sicher ziemlich sauer auf mich sein, wenn sie wieder zur Besinnung kommt.«
    Lola hatte ihr Handy ausgestellt. Weil sie wahrscheinlich gerade in Verhandlungen mit einem schwedischen Gefängniswärter war.
    »Tu nichts Dummes, Schätzchen«, flehte ich sie über ihre Mailbox an. »Ruf mich bitte sofort an, wenn du diese Nachricht hörst.«
    Nach dem Frühstück borgte ich mir Angies Ausgabe der Daily Mail, von deren Titelseite mir der DER SOUTHWARK RIPPER FORDERT OPFER NUMMER DREI ins Auge sprang. Jemand hatte ein Foto von Michelle gefunden, auf dem ihre hellen Augen noch nicht glasig und das dunkle Haar noch voller Glanz gewesen war, und irgendein Idiot hatte ihrer Mutter die gewohnt dramatischen Worte in den Mund gelegt: »Lasst mich die Bestie umbringen, die mir meinen Engel gestohlen hat.« Genau solcher Sätze wegen waren mir Zeitungen verhasst. Sie droschen stets dieselben politischen Phrasen und stellten, nur um ihre Auflagen noch zu erhöhen, jeden irgendwie gearteten Konflikt als Kampf zwischen Engeln und Teufeln dar.
    Ich simste Lola immer wieder an, aber sie reagierte nicht, und schließlich stellte Angie augenrollend fest: »Es hat keinen Sinn. Seien Sie einfach für sie da, wenn die Sache in die Hose geht.«
    »Ich weiß. Aber wenn ich ihr simse, tue ich zumindest irgendwas.«
    Erfrischt vom ungestörten Schlaf der letzten Nacht, erschien Meads um vierzehn Uhr wieder zum Dienst. Wie immer setzte er sich sofort auf die Couch und streckte seine Hand nach der Fernbedienung aus. Dieses Mal fand er ein Heimwerkerprogramm und verfolgte wie gebannt, wie ein älterer Mann ihm zeigte, wie sich eine Tür einhängen ließ. Inzwischen war mir klar, dass er am liebsten völlig reglos auf dem Sofa saß und aufmerksam verfolgte, was auch immer ihm die Glotze bot. Deshalb wartete ich ab, bis die Tür sicher befestigt war, bevor ich ihn um einen Gefallen tat.
    Schließlich aber fragte ich: »Könnten Sie mich vielleicht noch mal fahren?«, und sofort sprang er begeistert auf.
    »Stets zu Diensten.«
    Das Leben mit dem jungen Mann war herrlich leicht. Hätte ich ihm erklärt, dass wir ohne Sherpas den Himalaja erklimmen würden, hätte er bestimmt genauso unbekümmert reagiert.
    Kaum fuhren wir über die London Bridge, kamen wir auch schon am Monument vorbei. Ein paar hartgesottene Touristen hatten

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