Im Totengarten (German Edition)
der einzige Unterschied?«
»So sieht’s aus.« Er nickte zustimmend. »Sie war nur noch Haut und Knochen, als er sie getötet hat. Und dann hat er sie nach Crossbones und durch einen kaputten Zaun auf das Grundstück geschafft und ihre Leiche rüber bis ans Tor gezerrt, damit sie möglichst schnell gefunden wird.«
Burns blickte mich an. »Alice, Morris Cley ist bei den Bensons nach Belieben ein und aus gegangen, und auch wenn er nie was Derartiges zugegeben hat, hat er vielleicht gehört, wie die Körper ihrer Opfer von ihnen verstümmelt worden sind. Denn das wusste niemand sonst.«
»Abgesehen von all denen, die damals an den Ermittlungen beteiligt waren«, warf ich ein.
»Dann ist es also jetzt einer von uns?«, fuhr Alvarez mich an.
»Ich habe nur laut nachgedacht. Manchmal sickern auch einfach Informationen durch.«
Einer seiner Wangenmuskeln zuckte, als müsste er sich beherrschen, um mich nicht mit sämtlichen Schimpfnamen zu belegen, derer er mächtig war.
»In Ordnung, Ben«, erklärte Burns abrupt. »Dann lassen wir Sie besser weiter Ihre Arbeit machen.« Seine Stimme hatte einen angespannten Klang, wie die eines Lehrers, der versuchte zu verhindern, dass es abermals zu einer Schlägerei auf seinem Schulhof kam.
Alvarez verschwand ohne ein »Auf Wiedersehen« im Flur.
»Kümmern Sie sich nicht um ihn«, murmelte Burns. »Er arbeitet wie ein Besessener, seit das Mädchen gefunden worden ist.«
»Scheint nicht gerade ein umgänglicher Typ zu sein.«
»Die letzten Monate waren für ihn die Hölle, armer Kerl. Sie werden sich an ihn gewöhnen.«
Ich sagte mir, dass sich doch Burns um seinen verhaltensgestörten Stellvertreter kümmern sollte, und radelte in flottem Tempo nach Hause. Lola war schon da und heulte sich die Augen aus dem Kopf. Ich brauchte gar nicht erst zu fragen, ob sie die Rolle bekommen hatte. Mit ihrem leuchtend roten Seidentop und dem kurzen schwarzen Rock verströmte sie einen geradezu absurden Chic. Als ich ihr erklärte, dass sie für die Rolle einzig und allein deswegen nicht geeignet war, weil sie die arme Ophelia in den Schatten stellen würde, hellte ihre Miene sich ein wenig auf, und bereits ein paar Minuten später hatte sie sich weit genug erholt, um ihr Gesicht waschen zu gehen.
»Ich bin ein totales Wrack, Al. Tut mir leid.«
»Ich habe schon Schlimmeres erlebt.«
Auf dem Herd köchelte etwas vor sich hin, und als ich den Topfdeckel anhob, schlugen mir die Düfte von Gewürzen, Knoblauch sowie jeder Menge Rotwein ins Gesicht.
»Ich habe für dich gekocht.« Lola war inzwischen wieder fast die Alte. Schon in unserer Schulzeit hatte keine ihrer Depressionen länger als zehn Minuten angehalten, und dieses erstaunliche Talent hatte sie sich bis in die Gegenwart bewahrt.
Wir aßen den Eintopf mit warmem Baguette, doch sie verzichtete auf ein Glas Wein.
»Ich bleibe abstinent, bis ich nachher in den Pub gehe.«
»Und wo willst du hin?«
»Nach Soho. Ich treffe mich dort mit Craig und seinen Kumpels. Und du kommst gefälligst mit.«
»Tut mir leid, ich bin total k.o.«
»Du musst dich endlich wieder einmal amüsieren, Al.« Sie schüttelte den Kopf. »Komm, triff ein paar Leute und amüsier dich.«
»Nächstes Mal, versprochen.«
»Dein Pech, wenn du nicht willst. Einer von ihnen ist genau dein Typ, ein blonder Adonis.«
»Nein danke.« Ich hob abwehrend die Hände. »Ich habe von Männern erst einmal genug.«
Lola warf sich einen dunkelroten Mantel über und lief los. In meiner Küche sah es aus, als wäre ein Wirbelsturm hindurchgefegt. Es gab keinen sauberen Topf mehr, der Abfluss der Spüle war mit Kartoffelschalen verstopft, und auf meiner jungfräulichen hölzernen Arbeitsplatte prangte ein dunkler Kaffeefleck.
Ich räumte die Spülmaschine ein, stellte alle anderen Sachen ordentlich zurück an ihren Platz, und dann trat ich, um ein bisschen frische Luft zu schnappen, auf meinen Balkon. Es war derart kalt, dass unter dem orangefarbenen Licht der Straßenlampen bereits eine dicke Frostschicht auf den Autodächern funkelte. Auf der anderen Straßenseite stand Wills Bus, und durch die Spalte in den Vorhängen entdeckte ich ein schwaches Licht.
Eilig zog ich meine Schuhe an und lief aus dem Haus. Als Will nicht auf mein Klopfen an der Scheibe reagierte, packte ich den kalten Griff der Tür und zog sie auf. Er lag auf seiner schmalen Pritsche und hatte den Kopf an ein schmutzstarrendes Kissen angelehnt. Obwohl die Luft in seinem Bus fast so kalt wie
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