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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Rhodes
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draußen war, liefen bereits dicke Streifen von Kondenswasser an den Scheiben herab.
    Ich berührte seine Schulter, und erschrocken schlug er um sich, doch seine Bewegungen waren so ungenau, dass er mich nicht traf.
    »Fass mich nicht an«, sagte er mit einer derart schweren Zunge, als spräche er im Schlaf. »Lass mich in Ruhe.«
    »Hier draußen ist es eisig, Will. Komm bitte mit rein.«
    »Lass mich schlafen.« Er drehte sich schwerfällig auf die Seite und kehrte mir den Rücken zu.
    »Verdammt. Dir ist einfach nicht zu helfen.«
    Ich knallte die Tür hinter mir zu, kehrte zurück ins Haus und ballte dabei so die Fäuste, dass ich mir die Nägel in die Handballen grub. Seit seinem Zusammenbruch kam ich einfach nicht mehr an ihn heran, und die Drogen, die er einwarf, machten es nicht gerade einfacher für mich. Er nahm einfach alles, was er kriegen konnte – Ketamin, Heroin, Kokain –, und weigerte sich strikt, zu einem Arzt zu gehen, obwohl er unter einer bipolaren Störung litt. Er versuchte es einfach mit Selbstmedikation und nahm alles, was ihm gegen die Dämonen, die ihn quälten, half.
    Ich wühlte in einer Kommode, bis ich eine Decke fand, füllte eine große Portion Eintopf für ihn ab und stand fünf Minuten später abermals in seinem Bus.
    »Das hier hat Lola für dich gekocht.«
    Er drehte sich langsam wieder zu mir um. »Lola?«
    »Sie ist vorübergehend bei mir eingezogen. Du kannst gerne rüberkommen.«
    Ich breitete die Decke über seinen Beinen aus. Inzwischen hatte er sich aufgesetzt und schob sich gierig Löffel voller heißen Eintopfs in den Mund.
    »Schmeckt gut«, murmelte er.
    »Ich weiß – sie ist immer noch die Königin des trostspendenden Essens, stimmt’s?«
    Es war eine Erleichterung für mich, zu sehen, dass er endlich wieder einmal etwas Ordentliches aß. Am liebsten hätte ich die Hand nach seinen ungekämmten Haaren ausgestreckt, um sie ihm aus der Stirn zu streichen. Ihr einst goldener Schimmer war verblichen, und inzwischen sahen sie aus wie nasses Stroh und wiesen an den Schläfen vorzeitig ergraute Strähnen auf.
    Schließlich stellte er die leere Schüssel wieder weg, sah mich aus klaren Augen an und fragte mich in einem derart ruhigen Ton, dass er beinahe wie früher klang: »Warum machst du dir solche Mühe, Alice? Warum vergeudest du, nach allem, was ich dir angetan und was ich gesehen habe, noch deine Zeit mit mir?«
    Ich legte meine Hand auf seinen Fuß. »Du bist mein großer Bruder, warum sonst?«
    Seine Augen fielen wieder zu. Was auch immer er genommen hatte, schläferte ihn offenkundig ein. Ich stopfte ihm die Decke um die Schultern, gab ihm einen vorsichtigen Wangenkuss und richtete mich wieder auf.
    »Komm in die Wohnung, wenn du wach wirst, Will, damit du nicht erfrierst.«
    Ich weiß nicht, was mich so wütend machte, als ich wieder über die Straße lief. Ich hätte nicht sagen können, was genau der Grund für meine schlechte Laune war. Auf dem Weg zurück ins Haus versetzte ich dem Mülleimer einen gezielten Tritt, ohne dass es mir deshalb besserging.
    In meiner Wohnung warf ich mich vor den Fernseher. Für gewöhnlich habe ich nach meiner Arbeit Besseres zu tun, gehe laufen, lese oder höre Radio in der Badewanne, aber jetzt war ich einfach zu müde, um noch länger nachzudenken, und so zappte ich mich durch verschiedene Kanäle, bis ich bei einer romantischen Komödie mit Tom Hanks und Meg Ryan hängenblieb, die wie alle Filme mit den beiden tröstlich kitschig war. Offensichtlich döste ich darüber ein, denn plötzlich riss mich irgendetwas aus dem Schlaf.
    Das vertraute laute Hämmern meines Bruders an der Tür. Anscheinend war er endlich zur Vernunft gekommen und hatte beschlossen raufzukommen, wo es deutlich wärmer war.
    Doch es war nicht Will, der auf der Schwelle stand. Hinterher wusste ich, dass es besser gewesen wäre, die Tür sofort wieder ins Schloss zu werfen und dann die Polizei zu rufen, doch ich reagierte eindeutig nicht schnell genug. Und dann konnte ich nichts mehr tun.

5
    Vor der Tür stand Morris Cley. Er versperrte mir den Fluchtweg, und mein Herz klopfte so wild, dass ich nur mit Mühe einen Ton herausbekam.
    »Was machen Sie hier, Morris?«, krächzte ich.
    Er sah noch ganz genauso wie in Wandsworth aus: zotteliges, graues Haar, deformierte Züge, unfähig, mir ins Gesicht zu sehen.
    »Sie – Sie waren nett zu mir«, stammelte er. »Eine Dame in der Bibliothek hat mir dabei geholfen, am Computer rauszufinden, wo Sie arbeiten. Und

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