Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Rhodes
Vom Netzwerk:
die ganze Welt ans Leder will.«
    Ich atmete tief durch. »Glaubst du, dass er es jemals benutzen würde?«
    »Nie im Leben, Al.« Lola riss schockiert die Augen auf. »Schließlich ist er noch immer unser Will, nicht wahr? Er würde niemals auch nur einer Fliege was zuleide tun.«
    Sie legte ihren Kopf auf meine Schulter, verschwand dann aber im Bad, und bereits nach kurzer Zeit roch es in der ganzen Wohnung wunderbar nach Badeöl, und ich hörte, wie sie, wenn auch etwas schief, so doch voller Inbrunst Tonleitern rauf- und wieder runtersang.

8
    Am nächsten Tag brauchte der Fahrstuhl einige Minuten, bis er kam. Die Kabine sah wie immer aus: Wände aus glänzendem Metall und gerade groß genug für sechs Personen, wenn sie sich zusammendrängten wie Sardinen in der Dose, dachte ich. Das Summen der Klimaanlage jedoch erinnerte mich daran, dass die Fahrt in diesem Ding nicht tödlich war. Auch wenn Fahrstühle wie Särge aussahen, spuckten sie einen normalerweise immer quicklebendig wieder aus. Man musste es nur schaffen, Ruhe zu bewahren, machte ich mir Mut und sprang, bevor ich es mir noch mal anders überlegen konnte, mutig durch die offene Tür. Schlingernd setzte das Gefährt sich in Bewegung, und sofort brach ich in Panik aus. Der Rat, den ich meinen Patienten gab, erschien mir plötzlich völlig lächerlich: Lenken Sie sich ab, kontrollieren Sie Ihre Atmung, stellen Sie sich vor, Sie wären an einem sicheren Ort. Nichts von alldem half. Bis zum achten Stock fühlte ich mich wie ein Astronaut, der in einer engen Kapsel eingeschlossen war und dessen Sauerstoffvorrat zur Neige ging. Die Wände spielten mir gemeine Streiche, zogen sich zusammen und dehnten sich aus wie eine Ziehharmonika, und mit einem Mal saß ich wieder im Schrank unter der Treppe, ohne Möglichkeit zur Flucht, und hörte über meinem Kopf das Trommeln der Schritte meines Vaters, das mir die Decke auf den Schädel krachen ließ. Auch der Nothaltknopf nützte mir nichts. Denn wenn ich ihn drückte, bliebe nur der Fahrstuhl stehen, und ich säße zwischen zwei Stockwerken fest. Bei diesem Gedanken hätte ich am liebsten mit den bloßen Händen Löcher ins Metall der Liftwände gekratzt, doch glücklicherweise blieb das grässliche Gefährt genau in diesem Augenblick erschaudernd in der sechzehnten Etage stehen, und kaum dass sich die Tür geöffnet hatte, wankte ich an einer Schwesternschülerin vorbei in den rettenden Korridor hinaus.
    »Alles in Ordnung?«, fragte sie mich ängstlich. »Vielleicht setzen Sie sich besser erst mal hin.«
    Ich bemühte mich zu lächeln, aber meine Knie waren so weich, dass ich nur noch mit Mühe bis auf die Toilette kam. Ich zitterte am ganzen Leib und war gleichzeitig furchtbar wütend auf mich selbst. Ganz allmählich schaffte ich es wieder, langsam und normal zu atmen, und ich sagte mir, es wäre ein Syndrom, sonst nichts. Eine Furcht vor Enge und die panische Befürchtung, dass mir die Kontrolle über irgendwas entglitt. Aber ständig schafften Menschen es, ihre Angst vor Enge zu besiegen. Nach sechs kognitiven Verhaltenstherapiesitzungen konnten sie wieder mit der U-Bahn fahren, sich in überfüllte Busse quetschen, durch belebte Einkaufszentren gehen. Ich hingegen konnte das nicht. Ganz im Gegenteil mied ich solche Situationen inzwischen mehr als je zuvor. Ich hatte aufgehört, mich während des Berufsverkehrs auf der Straße zu bewegen, und hielt mich von Einkaufszentren und von allen anderen Orten, an denen möglicherweise große Menschenmengen waren, fern.
    Mein Spiegelbild starrte mich an, und ich setzte ein gezwungenes Lächeln auf und versuchte, mich dazu zu bringen, auszusehen wie ein normaler Mensch und nicht wie eine neurotische Idiotin, die sich von irgendwelchen irrationalen Ängsten zum Krüppel machen ließ.
    Laura Wallis war schon angezogen und sah mir gespannt entgegen, als ich in ihr Zimmer kam. Als ich einen Blick auf das Diagramm am Fußende des Bettes warf, sah sie mich so argwöhnisch aus ihren in dem ausgemergelten Gesicht riesengroß wirkenden Augen an, als wäre ich vielleicht eine Gefahr für sie.
    »Sieht gut aus, Laura«, sagte ich. »Wenn du so weitermachst, kannst du bestimmt in ein paar Wochen nach Hause.«
    »Sie werden mir doch wohl nicht jede Menge Fragen stellen, oder?«, fragte sie in einem Ton, der neben einem ausgeprägten Widerwillen nackte Angst verriet.
    Ich sah sie lächelnd an. »Heute nicht. Wir werden nur einen Spaziergang machen, weiter nichts.«
    »Und wo gehen wir

Weitere Kostenlose Bücher