Im Totengarten (German Edition)
dass Sie seine Feindin sind. Und so schwer kann es ja wohl nicht sein, meine Adresse rauszufinden, wenn das sogar Morris Cley gelungen ist.«
Burns starrte mich entgeistert an. »Gott Allmächtiger, ich könnte Ihre Arbeit nie im Leben machen.«
»Nein?«
»Ich hätte dafür einfach nicht die nötige Geduld. Das ist das Gute an meinem Job. Jemand begeht ein Verbrechen« – er machte eine Bewegung mit den Händen, als klappe er ein Buch zu –, »und das war’s. Ende der Geschichte.«
»Nur dass es nicht immer so einfach ist, nicht wahr?«
»Dieses Mal ist es ein bisschen komplizierter«, gab er zu und fuhr sich mit einem riesengroßen weißen Taschentuch über die Stirn. »Deshalb bin ich hier.«
»Ich hatte mir bereits gedacht, dass Sie nicht ganz ohne Hintergedanken hier erschienen sind.«
»Alice, ich wollte Sie bitten, für mich mit Marie Benson zu sprechen. Sie ist momentan in London im Krankenhaus.«
Ich riss entsetzt die Augen auf. Der Gedanke, die Frau zu besuchen, die in der Boulevardpresse stets nur das Monster hieß, war mir alles andere als angenehm. Es erschien mir als die denkbar schlimmste Art, einen Abend zu verbringen, und danach dächte ich sicherlich noch tagelang über das Erlebnis nach. Wenn unser Gedächtnis wie die Festplatte eines Computers funktionieren würde, hätte ich wahrscheinlich kein Problem damit gehabt. Denn dann hätte ich Burns die Informationen gegeben, die er brauchte, und das Treffen danach einfach aus meiner Erinnerung gelöscht.
»Tut mir leid, Don, aber das kann ich nicht.«
Burns stützte sein schweres Kinn auf seinen Händen ab. »Bitte, Alice.«
»Ich bin nicht auf solche Gespräche spezialisiert. Wie ich bereits sagte, ich bin keine forensische Psychologin. Ich wüsste bei einem solchen Treffen gar nicht, was ich machen soll.«
»Aber Sie haben gesagt, dass Sie mir helfen würden. Und Sie waren von Anfang an in diese Sache involviert.«
»Mehr, als mir lieb ist«, antwortete ich und lehnte mich auf meinem Stuhl zurück.
»Wenn Sie sie für mich besuchen, werde ich Sie nicht noch mal um einen Gefallen bitten. Versprochen.«
Er blickte mich durchdringend aus seinen kleinen Augen an. Es fiel einem seltsam schwer, ihm eine Bitte abzuschlagen, denn er hatte in Bezug auf seine Arbeit eine fast schon pathologische Verbissenheit, egal, wie schwierig sie manchmal war. Ich fragte mich, was seine Frau wohl täte, um ihn zu beschäftigen, wenn er eines Tages in Pension ging.
Irgendwie gelang es ihm, mir mein Einverständnis abzuluchsen, ehe er sich ungewöhnlich schnell von seinem Stuhl erhob. Offenbar wollte er aus dem Zimmer flüchten, ehe ich Gelegenheit bekam, meine voreilige Zusage wieder zurückzuziehen.
Die Patientin, die als Nächste an der Reihe war, kam erst seit kurzer Zeit zu mir. Sie betrat den Raum mit zornrotem Gesicht, weil sie nicht pünktlich drangekommen war, und sobald sie Platz genommen hatte, setzte sie zu einer wütenden Beschreibung der Gereiztheit an, die sie bereits morgens beim Aufwachen empfand und in die sie bis zum abendlichen Schlafengehen eingezwängt war wie in ein zu enges Kleid, das sich nicht ausziehen ließ. Sie hatte das Gefühl, als würde ihr Körper von jemand anderem bewohnt. Der sie ihre Kinder anbrüllen und sie völlig grundlos sogar auf ihren Ehemann losgehen ließ.
Eine Flut von Worten ergoss sich aus ihrem Mund, und ich wartete auf eine kurze Unterbrechung dieses Stroms, damit ich ihr erklären könnte, dass grundloser Zorn oft ein Symptom von Depressionen war. Doch sie unterbrach sich kein einziges Mal und war derart damit beschäftigt, ihrem Ärger Luft zu machen, dass sie gar nicht merkte, dass ich aus dem Fenster starrte und mir Sorgen um das teuflische Abkommen machte, zu dem Burns mich genötigt hatte.
9
Für gewöhnlich machte es mir großen Spaß, am Ende eines Arbeitstages wie eine Verrückte vier Minuten lang die Treppe hinunterzurennen, durch die Tür zu fliegen und nach Stunden endlich wieder Luft zu atmen, die nicht sorgfältig gefiltert worden war. An dem Abend jedoch hätte ich mich lieber unter dem Schreibtisch in meinem Büro verkrochen oder mich mit hochgeklapptem Kragen heimlich aus dem Haus geschlichen, ohne dass mich irgendjemand sah.
Allerdings wartete DCI Burns bestimmt bereits auf mich, und ich hatte ihm meine Hilfe schließlich zugesagt.
Ein schwarzer Wagen fuhr im Schritttempo an mir vorbei und blendete kurz auf. Auf dem Fahrersitz saß Alvarez in seinem schicken Mantel und mit dem
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