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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Rhodes
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sich dreihundert Stufen bis zur Aussichtsplattform hochgekämpft, um sich die Lagerhallen in Limehouse auch einmal von oben anzusehen. Früher konnte man von dort aus über Greenwich und die Isle of Dogs bis zu den Kent’schen Hopfenfeldern gucken, heutzutage allerdings wurde diese Aussicht durch die Neubauten an der Canary Wharf versperrt.
    Unsere Reise führte uns nach Norden, und wir teilten London dabei sauber wie mit einem Käsedraht in zwei ordentliche Hälften. In der Liverpool Street drängten sich die Leute vor den Läden, doch im East End ging das Geld zur Neige, und so sah es in der Kingsland Road vollkommen anders aus. Ab und zu erinnerten die Straßennamen an den Wohlstand, der in alten Zeiten mit dem Stoffhandel einhergegangen war, denn wir kamen durch die Curtain Road, die Vorhangstraße, und die Haberdashers Street, die für ihre Kurzwarengeschäfte regelrecht berühmt gewesen war. Ohne Zweifel spuckten hier in dieser Gegend wie schon in den Tagen von Charles Dickens unzählige Ausbeuterbetriebe auch noch heute reihenweise hübsche handbestickte Kleider aus.
    Erst in der De Beauvoir Town nahm der Wohlstand wieder zu. Sie bestand aus einer Ansammlung von Straßen aus den Zeiten König Edwards, wo es herrlich restaurierte Villen mit leuchtend bunt gestrichenen Türen sowie jede Menge Montessorischulen für die wohlerzogenen Mittelklassekinder gab.
    In der Spielzeit -Krippe jedoch wurden eher die Kleinen aus den weniger begüterten Familien, die es auch in dieser Gegend gab, betreut. Die wahrscheinlich größtenteils alleinstehenden Mütter oder Väter dieser Kinder kamen mit dem Geld, das sie verdienten, sicher kaum zurecht.
    Cheryl Martin räumte gerade auf. Ihre braunen Locken hielt die junge Frau mit einem bunten Plastikreif in Schach, und sie war auch nicht bereit, sich von irgendetwas oder -jemandem an ihrer Arbeit hindern zu lassen. Die Kinder hatten bereits ein paar Sachen eingesammelt, doch mit all den Legosteinen, Bauklötzen und Puppen herrschte auf dem Fußboden noch immer das reinste Durcheinander. Sie lag auf den Knien, schaufelte die Spielsachen in bunte Plastikkisten, und ich dachte schon, sie hätte mich vielleicht vergessen, aber schließlich stand sie auf und sah mich mit einem verwirrten Lächeln an.
    »Sie sind Dons Freundin, stimmt’s?«
    »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, dass ich einfach so vorbeigekommen bin. Ich habe die Krippe im Internet gefunden.«
    Sie zog die Brauen hoch. »Aber Sie sind nicht gekommen, um zu fragen, ob Ihr Kind auf unsere Warteliste kann, nicht wahr?«
    Dann stemmte sie die Hände in die Hüften, blickte mich abwartend an, und ich brauchte meine ganze Überredungskunst, bevor sie mit mir sprach. Erst als ich ihr von Michelle erzählte, taute sie allmählich auf. Es war die Hoffnung, dass sie vielleicht helfen könnte, andere Frauen vor diesem Schicksal zu bewahren, die den Ausschlag gab.
    »Aber das ist der allerletzte Gefallen, den ich Ihnen tue«, warnte sie mich stirnrunzelnd. »Dann ist der Fall endgültig für mich erledigt, und falls Sie oder Don oder sonst wer mich noch mal danach fragt, schmeiße ich ihn einfach raus. Verstanden?«
    »Ja.« Ich nickte knapp. »Alles, worum ich Sie bitte, ist, sich dieses Foto anzusehen.«
    Als ich es ihr zeigte, dachte ich, sie sähe vielleicht nicht mal hin, aber sie hielt Wort und betrachtete die Gesichter so eingehend, als präge sie sie sich für eine Prüfung ein. Ihre Ärmel waren hochgerollt, und ich versuchte, nicht die Kreuze auf den Unterarmen anzustarren, schmale weiße Narben, zwischen denen es kaum eine Lücke gab.
    »Erkennen Sie jemanden?«, fragte ich nach einem Augenblick.
    »Alle.« Ihr Gesicht war völlig ausdruckslos, als sie mir in die Augen sah. »Ein paar der Namen habe ich vergessen, aber ich weiß noch genau, was sie alle dort gemacht haben.«
    »Können Sie mir von den Leuten erzählen?«
    Cheryl tippte kurz auf das Gesicht von Morris Cley. »Er war noch der Beste von dem ganzen Haufen. Einfach gestrickt, aber echt lieb, und hätte alles dafür gegeben, dass sich eine von uns für ihn interessiert. Er kam ab und zu vorbei, hat dort aber nicht gewohnt.«
    Danach wies sie auf eine Frau, die derart grimmig guckte, dass man es bereits beim bloßen Hinsehen mit der Angst bekam, und schüttelte den Kopf. »Ihr bin ich meistens aus dem Weg gegangen. Ich glaube, sie hieß Lisa oder so. Sie konnte echt nett zu einem sein, aber kaum hatte sie was getrunken, hat sie sich mit jedem

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