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Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Antonow
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Sturmgewehr und den bolivianischen Dschungel zu tauschen.
    Auch Kropotkin war auf seine Weise ein Dichter gewesen. Er versuchte nicht nur, die Welt als Revolutionär zu verändern, sondern erforschte sie gleichzeitig als Geograf. Die letzte Arbeit des Patriarchen des Anarchismus war ein wissenschaftlicher Vortrag mit dem Titel »Über die Eis- und die Seenzeit« gewesen.
    Nur Dichter und Träumer waren in der Lage, die Welt besser zu machen, selbst wenn diese Welt in einem Erdloch steckte und Metro hieß.
    Der Gedichtband von Gumiljow hatte für Tolik rein sym bolische Bedeutung – als Bruchstück eines vergangenen Lebens, als Staubkorn, das der alles verheerende Sturm der Veränderung unter die Erde geweht hatte, und als Strohhalm, an dem der Ertrinkende sich festklammern konnte.
    Toliks Eltern hatten sich gewünscht, dass aus ihrem Jungen ein Künstler und Musiker werde . A uch Tolik selbst hatte früher davon geträumt. Doch nach der Apokalypse war alles anders geworden. Sie hatte die riesige Stadt in eine Ruinenlandschaft verwandelt und die Hoffnungen und Träume ihrer Bewohner zu Luftschlössern degradiert, die geplatzt waren wie Seifenblasen. Dieses totale Desaster hatte Tolik zum Umdenken bewegt.
    Was die Kunst betraf, hatte er den Entschluss gefasst, auf die vorhandenen Werke wahrer Meister zurückzugreifen. Gedichte hatten ihm schon oft geholfen, die Schwermut zu vertreiben. Zwar war die Melancholie in der Metro ein beinahe alltägliches Gefühl, doch manchmal wurde sie so unerträglich, dass man sich am liebsten die Kugel gegeben hätte.
    Wenn ihn die Schwermut niederdrückte, nahm Tolik die vergilbten Seiten zur Hand, und dann zerschellte die kalte Welle seelischer Finsternis am mächtigen Felsen einfacher, herzerwärmender Verse:
    Ich kenn’ ferner Länder Geheimnis, manch fröhliche Mär
    vom schwarzhäut’gen Mädchen, vom Feldherrn, den Liebe durchglüht.
    Doch du hast zu lange geatmet den Nebel so schwer;
    an nichts als an Regen will glauben dein sehend Gemüt.
    In Gedichten war die Welt so romantisch, zauberhaft und unergründlich: geheimnisvolle Länder, die Liebe eines schwarzen Mädchens und eines Feldherrn … All das war verschüttgegangen. Jetzt gab es nur noch dunkle Tunnel und den bleigrauen Rauch der Lagerfeuer. Nur noch die Metro, das letzte Refugium einer Menschheit, die auf katastrophale Weise Schiffbruch erlitten hatte.
    An der Woikowskaja gab es nicht viele Bewohner, die das Schöngeistige zu schätzen wussten. Jenen, die sich für wahre Poesie begeisterten, konnte man nur empfehlen, die Seife in der Sauna lieber nicht fallen zu lassen. Die Sitten waren rau … Richtigen Männern stand es besser zu Gesicht, sich mit eigenen Arrangements der Frontlieder von »Ljube« zu zerstreuen.
    Tolik lächelte düster.
    Den vom Bahnsteig hereindringenden Geräuschen nach zu schließen war die Station Guljaipole bereits aufgewacht. Es blieb nichts anderes übrig, als die romantisch-sentimentalen Gedanken zu verscheuchen und in die prosaische Realität einzutauchen.
    Diese Realität begann allmorgendlich im Kraftraum, einem mit Trennwänden aus Planenstoff abgetrennten Winkel, der mit Fitnessgeräten vollgestellt war. »In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist«, pflegte der Kommandant zu sagen. Die Stationsjugend teilte diese Meinung.
    »Fitnessgeräte« war vielleicht zu viel gesagt . A n der Guljaipole handelte es sich dabei um Eisenteile verschiedenster Art. Die Sportfanatiker schleppten alles in den Kraftraum, was auch nur entfernt an Schwerathletik erinnerte . A ls Langhanteln dienten Achsen mit Rädern, Kugelhanteln wurden durch allen möglichen Metallschrott ersetzt. Die ursprünglichen Bestandteile komplizierterer Geräte mit Hebeln, Federn und Gegengewichten konnte man oftmals gar nicht mehr identifizieren. Über deren Provenienz wusste nur Toliks Freund Sergej Bescheid, der in seiner Freizeit nichts anderes tat, als immer neue muskelstählende Monster zu konstruieren.
    Am Bahnsteig tummelten sich geschäftige Händler. Da sie sich nur ungern zu Fuß in die verrufenen hiesigen Tunnel wagten, warteten sie auf vorbeikommende Draisinen, die mit Maschinengewehren bewaffnet waren. Doch da Draisinen nur selten fuhren, hingen die Händler oft untätig herum und schlugen die Zeit tot. Sie diskutierten den neuesten Klatsch und tauschten sich über sichere Handelsrouten aus. Dabei beugten sie sich über zerknitterte Metrokarten und fuhren mit dem Finger imaginäre Routen ab.
    Tolik wusch

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