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Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Antonow
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sondern mit der Taschenlampe. Du läufst durch den Tunnel und hörst plötzlich Schritte vor dir. Du fragst natürlich, wer da ist, logisch. Und dann schaltet der Streckenwärter seine Lampe ein. Ihr Licht ist weder gelb noch weiß, sondern so bläulich grün. Ein abartiges, krankes Licht. Wenn du dich nicht sofort aufs Gleis wirfst und die Arme über den Kopf schlägst, hast du verloren. Die Lampe des Streckenwärters brennt dir bei lebendigem Leibe die Augen aus. Und dann zerrt er dich entweder persönlich in die Hölle, oder du tappst blind selbst hinein. Das macht keinen großen Unterschied. Das Schlimmste ist, dass der Streckenwärter in jedem Tunnel auftauchen kann. Er hat sich schon viele von unseren Jungs geholt.«
    Tolik trank seinen Tee aus. Legenden über Gespenster hörte er jeden Tag. Immer, wenn er an diesem Platz saß und seinen Tee schlürfte, erzählten sich die Händler in der Nähe Schauergeschichten. Natürlich waren viele davon erfunden, aber bei Weitem nicht alle. Hier im Untergrund konnte man sich das Fabulieren getrost sparen. Denn die Metro war schlimmer und erfindungsreicher als die menschliche Fantasie.
    Im Kraftraum stemmten bereits an die zwanzig Mann Gewichte . Vor einem großen, schon etwas milchigen und an mehreren Stellen gesprungenen Spiegel zog Tolik sein Sweatshirt aus. Er strich sein zerzaustes braunes Haar glatt und warf einen flüchtigen Blick auf sein Spiegelbild. Er sah einen jungen Mann mit schmalem, kantigem Gesicht, dichten, entfernt stehenden Augenbrauen, hoher, glatter Stirn, wohlgeformter Nase und braunen, aufmerksam blickenden Augen. Er war etwas größer als der Durchschnitt, muskulös und schlank . A ufgrund des blassen Gesichts und der hageren Figur wirkte er älter, als er in Wirklichkeit war, wie übrigens die meisten seiner Altersgenossen, die unter der Erde aufgewachsen waren.
    Doch Tolik hatte mehr Erfahrung als sie – sogar mehr als viele ältere Semester. Er hatte schon häufig an Kommandoaktionen gegen die Roten teilgenommen . A us jedem dieser Gefechte war er gleichsam um ein Jahr älter zurückgekehrt. Diese Einsätze hatten ihm an der Woikowskaja gro ßen Respekt eingebracht.
    Die Stationsleitung setzte ihn bei diversen Kommandos als Anführer ein. Denn Tolik war in der Lage, Entscheidungen zu treffen und dafür zu sorgen, dass sie von seinen Leuten auch umgesetzt wurden . A n der Woikowskaja war das keine Selbstverständlichkeit. Die Anarchisten waren so eigensinnig wie Wölfe: Auf einen X-beliebigen hätten sie niemals gehört . A ls geborenes Alphatier tat man sich deutlich leichter.
    Sergej werkelte mit einem Schraubenschlüssel an seiner neuesten Erfindung. Er hockte zu Füßen eines mehrfach geklebten Posters mit einem Bild von Ernesto Che Guevara. Tolik hatte das Plakat für ein Vermögen bei einem fahrenden Händler erstanden.
    Ursprünglich hatte er sein Zelt damit schmücken wollen, doch das Poster war dafür zu groß. Falten oder gar Abschneiden wäre einem Sakrileg gleichgekommen. So war das Porträt des bärtigen Revolutionärs mit dem Barett auf dem Haupt schließlich an der Wandplane des Kraftraums gelandet, und Tolik hatte seinen Freunden erklären müssen, wie der Kubaner zu dieser Ehre kam. Seither schnitten alle Stammgäste im Kraftraum ehrfürchtige Mienen, wenn sie am Porträt des Comandante Ernesto vorbeikamen. Für Tolik bedeutete dies einen kleinen, aber wichtigen Sieg.
    Nach dem Aufwärmen nahm sich Tolik eine Langhantel mit massiven Radscheiben vor. Er wollte sie gerade vom cremegrauen Granitboden lupfen, als plötzlich Arschinow in den Kraftraum platzte.
    Arschinow war ein kleiner, kräftig gebauter Typ mit einem Nullachtfünfzehn-Soldatengesicht. Über seinen Schultern hing wie eine Burka ein verschlissener Offiziersmantel ohne Schulterstücke und Ehrenabzeichen.
    »Tomski, dringend zu Nestor«, sagte er und nickte Tolik zu.
    Während Tolik sein Sweatshirt überzog, rief Arschinow die Namen weiterer Männer, die beim Kommandanten anzutanzen hatten . A lle waren Freunde von Tolik und durch die Bank hervorragende Kämpfer. Sein e Vorahnung beim Aufwachen hatte ihn also doch nicht getäuscht: Es stand eine brisante Kommandoaktion ins Haus.
    Die Luft roch auf einmal gewittrig.

2
    DER ROTE NIKITA
    Obwohl Tolik als erfahrener Kämpfer galt, hatte er noch nie die Ehre gehabt, Nestors Zelt zu betreten. Die Kom mandosoldaten bekamen ihre Instruktionen normalerweise von Ded, einem ehemaligen Offizier der Luftlandetruppen, der während

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