Im Visier des Todes
einem Flohmarkt entdeckt. Céline hat sich auch dafür interessiert. Dabei hätte sie sich gar nicht so viel Mühe geben müssen, mir aufzufallen, auch wenn sie dabei ein gewisses schauspielerisches Talent beweisen konnte. Ich weiß, dass Nick ihr den Tipp gegeben hat, mich dort zu treffen. Und ich hatte ihm eh versprochen, sie mir näher anzuschauen.«
»Wie nah?« Sie schämte sich für ihre Eifersucht. Vor allem nach dem vergangenen Okay . Nach allem, was ihr so sehr … nichts bedeutete.
»Meine Güte, Leah, was denkst du eigentlich von mir? Dass ich alle Models, mit denen ich arbeite, flachlege? Und ihre Schwestern noch dazu? Was gestern zwischen uns war … « Er stieß den Teller von sich, der über die Tischoberfläche schlitterte und gegen den ihren stieß. »Was es auch war, es ist anscheinend vorbei.«
»Nein, warte! Ich möchte doch nur wissen, in was genau Céline da reingeraten ist. Nick hatte sie empfohlen? Was hatte sie mit ihm zu tun? Und was war das für ein Shooting … « Sie bemerkte, wie sich sein Körper anspannte, konnte jedoch nicht mehr aufhören. »Du hast die Motive auf den Fotos erkannt, nicht wahr? Der Schrei . Die Verblendung . Bitte, sag mir … «
»Ich sollte jetzt lieber gehen.« Er stand auf und griff nach dem Fotoapparat.
»Warte, bitte!« Sie lief ihm in den Flur nach. »Ich will dir vertrauen. Ich … brauche dich.«
Endlich hielt er an. »Leah … «
Sie hatten so viel zu verlieren.
Die Wärme ihrer Lippen, den Sonnenaufgang in seinen Augen, diese Stimme, die sie zu umarmen schien.
Sie nahm seine Hand. »Bleib hier.«
»Sicher?«
»Ja.«
Ein Aufschrei brandete vom oberen Stockwerk über sie hinweg. Leah fuhr herum, ließ seine Finger los. Ihre Mutter stand in der Mitte der Treppe, klammerte sich an das Geländer, das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit verzerrt.
»Mama? Du bist wach. Hab keine Angst, das ist nur Kay.« Sie tastete nach seiner Hand und griff ins Leere. »Er ist ein Freund. Er … «
Die Mutter schüttelte den Kopf. Ein halb ersticktes Wimmern drang aus ihrem aufgerissenen Mund. Zwei oder drei Stufen stolperte sie rückwärts, dann drehte sie sich um und lief fort.
»Mama? Mama, was ist los?«, rief Leah und eilte ihr hinterher, wobei sie fast über ihre eigenen Füße fiel in dem tollpatschigen Versuch, zwei Stufen auf einmal zu nehmen. Als sie endlich oben stand, hörte sie, wie die Schlafzimmertür ihrer Mutter zuknallte. Und hinter ihr die Eingangstür leise ins Schloss fiel.
Sie stand allein da.
Zwischen zwei zugegangenen Türen.
12
Ihre Mutter öffnete nicht. Aber aufzugeben bedeutete, die Nerven endgültig zu verlieren. Leah klopfte und rief nach ihr, appellierte an die Vernunft und forderte Erklärungen. Im Zimmer blieb es still. Irgendwann setzte sie sich auf die Treppe und wartete, lauschte ab und zu auf Lebenszeichen, doch ihre Mutter gab keinen Ton von sich. Als hätte Kays Anblick sie aus diesem Haus ausradiert, sie in einen stummen Geist verwandelt.
Viel zu spät fiel Leah ein, dass bei der Mehrheit der Leute der Donnerstag zu den Arbeitstagen zählte. Sie rief an und nahm den Tag frei, obwohl Adrianna sie aufs Dringlichste an die Vorbereitungen für die bevorstehenden Verhandlungen mit dem Uniklinikum erinnerte.
Es ging auf Mittag zu. Im Tiefkühlfach fand Leah eine Packung Gulasch, bereitete etwas Reis dazu und teilte alles in zwei Portionen. Sie brachte das Essen hoch, doch als sie eine Stunde später wieder nach oben kam, stand das Tablett unberührt vor dem verschlossenen Zimmer.
»Mom?« Sie versuchte erneut, auf die Tür einzureden, aber ohne Erfolg. Wenn sie durch das Schlüsselloch spähte, sah sie manchmal eine Silhouette. Ein einziges Mal hatte sich ihre Mutter direkt davorgestellt, und Leah konnte die winzigen Veilchen erkennen, mit denen der Stoff des Nachthemdes bedruckt war. »Mom? Mom, öffne mir bitte«, flüsterte sie, vor dem Schlüsselloch kniend. »Ich möchte nur mit dir reden. Was ist los? Ist es wegen Kay?«
Die Blümchen verschwanden aus ihrem Sichtfeld. Leah sackte auf dem Boden zusammen. Was, wenn es tatsächlich Kays wegen war? Wenn er hinter dem Überfall steckte? Schließlich hatte sie ihn an dem Tag erst spätabends gesehen. Die Gedanken zerrissen sie. Zwischen seiner Zärtlichkeit und ihrer Angst. Sie musste endlich Klarheit haben. Irgendwie beweisen … dass er es nicht war. Bitte, bitte, nicht!
Einige Zeit später pilgerte Leah wieder in die Küche. Die von ihr angebissene Spalte Clementine
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