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Im Visier des Todes

Im Visier des Todes

Titel: Im Visier des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Krouk
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der anderen Straßenseite in einer am Rand abgestellten Mülltonne wühlte. Für einen Moment unterbrach er seine Grabungen und blickte zum Haus. Ihr Körper spannte sich an. Sie wich vom Fenster zurück.
    »Morgen.«
    »Was?« Sie fuhr herum, verschluckte sich und blickte panisch zur Tür, als könnte der Obdachlose hier eindringen, doch es war nur Kay. Seine Kleidung war zerknittert, in die Wange hatte sich das Muster des Teppichs eingeprägt. Er sah so gemütlich aus, dass ihr das Herz schwer wurde. So viel zum Thema Beziehungsabstinenz und Pflege der berechtigten oder unberechtigten Zweifel.
    »Bitte entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken.«
    »Nein, alles in Ordnung, ich war nur in Gedanken.«
    Er kam näher. »Wie geht es deiner Mutter?«
    »Sie schläft noch.« Am späten Vormittag würde ihre Mutter aufstehen und so tun, als wäre alles wie immer. Als ginge das Leben ununterbrochen weiter. Mit dem Unterschied, dass sie ab heute vielleicht die Seife mit der Zunge probieren und sich darüber aufregen würde, das Zeug schmecke gar nicht nach Milch und Honig, wie auf dem Etikett angekündigt. Oder sie würde in einem Badreiniger eine exquisite Parfümnote entdecken. »Sie war früher so anders. Als Stiefpapa noch gesund war und seine Firma gut lief, konnte sie es kaum aushalten, keine Menschen um sich herum zu haben. Sie ging zu Partys und verreiste in Länder, die ich nicht einmal in einem Atlas finden würde. Und ihre kleinen Merkwürdigkeiten nannten alle Exzentrik. › Die Alte spinnt wohl ‹, hieß es erst, als wir alles verloren hatten. Manchmal weiß ich nicht, wie ich mit ihr umgehen soll. Was tatsächlich stimmt und was nur ihren Kopf-Mahren entspringt. Manchmal … ist es sehr schwer, für sie da zu sein.«
    »Vielleicht braucht sie Hilfe.«
    »Sie braucht mich. Ich kann sie nicht im Stich lassen, verstehst du?« Leah wandte sich der Herbstsonne zu, die auch heute nicht vorhatte, diese Erde zu erwärmen. Der Obdachlose war verschwunden. »Sie … sie hat es nicht einfach gehabt, ihr Leben lang nicht, weißt du? Ihre Eltern sind damals aus Spanien hergekommen, eine sehr traditionsreiche Familie. Ich war der Grund, warum sie mit ihren Wurzeln brechen musste.«
    »Du? Was hast du angestellt?« In seiner Stimme lag eine seltsame Traurigkeit. »Deinen Großeltern ein Küsschen verweigert?«
    Sie schloss die Augen, während die Sonnenstrahlen auf ihren Lidern tanzten. »Dazu habe ich nie eine Gelegenheit bekommen. Sie ist mit mir schwanger geworden. Mein Erzeuger hat sich aus dem Staub gemacht, sobald er davon erfahren hatte. Und sie blieb allein mit mir und unverheiratet.«
    »Wusste ich’s doch.«
    »Was?« Sie fuhr herum. »Was weißt du denn schon!«
    Er fing sie ab. Leah hielt still. Seine Finger an ihren Wangen – sie fühlte sich so geborgen zwischen seinen Handflächen. Ganz klein mit ihrem heftig klopfenden Herzen.
    »Manchmal kannst du jemandem nur helfen, indem du zulässt, dass jemand anders ihm hilft. › Psychotherapeut ‹ ist kein Schimpfwort, Leah.«
    Im Flur raschelte es. Ihre Mutter? Sie blickte über seine Schulter. Nein, alles still. Alles nur Einbildung. Ihre eigenen Kopf-Mahre. »Lass … los«, flüsterte sie und vermied es, ihm in die Augen zu schauen.
    Er senkte die Arme.
    Sie wandte sich ab und nickte dankbar. Allein hätte sie sich niemals von ihm losreißen können. Ihre Finger tasteten nach der Clementine, sie biss noch ein Stück ab. Der saure Saft reizte ihren Rachen. Sie legte es zurück.
    »Warte! Rühr nichts mehr an, okay?«
    »Warum?«
    »Ich möchte ein Bild von der Clementine machen, wenn du nichts dagegen hast. Meine Kamera liegt im Auto. Ich brauche nur eine Minute, um sie zu holen, okay? Bin gleich wieder da.«
    »Gut. Ich mache uns solange Kaffee.«
    Aus dem Fenster beobachtete sie, wie er zu seinem Wagen eilte, einem klapprigen Ford Mustang, den sie kaum bei einem Starfotografen vermutet hätte. Ob das Auto wie seine Bilder eine ganz eigene Geschichte erzählte?
    Nach einer Weile kam er zurück und kniete sich neben die Fensterbank, drehte sanft an dem Fokussierring, drückte auf den Auslöser. Seine präzisen Bewegungen ähnelten einem Tanz.
    Sie hockte sich neben ihn, um zu sehen, was er sah: Die Sonnenstrahlen, die durch das Fruchtfleisch schienen und den Saft an der angebissenen Stelle zum Funkeln brachten. »Ein schönes Motiv. Ich kann die Wärme der Sonne fühlen.«
    Er schaute über die Kamera hinweg zu ihr. Die Wärme und das Leuchten waren auch

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