Im Visier des Todes
ein Mörder verbarg.
Nach dem dritten Latte macchiato war sie nicht nur zur Expertin für schlechten Kaffee und Rundführerin durch stille Örtchen der Gegend aufgestiegen, sondern kannte auch die Tücken der Eingangstür inzwischen zur Genüge. Einem leicht beschwipsten Heimkehrer hatte diese die Undurchdringlichkeit einer Himmelspforte gezeigt, einem mit Einkaufstüten beladenen Familienvater war sie in den Rücken gefallen, und einer Mutter verlangte sie akrobatische Hochleistungen bei dem Versuch ab, den Kinderwagen ins Treppenhaus zu manövrieren.
Von Nathalie und Thessa fehlte jede Spur.
Als das Baby im eingekeilten Kinderwagen lauthals zu plärren begann, eilte Leah über die Straße und packte mit an. Die zweite Hälfte der Tür ließ sich auch mit einem kräftigen Rütteln nicht öffnen. Erst als die Mutter das Kind herausgeholt und Leah den Wagen zusammengeklappt und gekippt hatte, gelang es ihr, das Ding ins Treppenhaus zu würgen. Die junge Mutter bedankte sich mit einem knappen » Eigentlich passt er hier durch « und wollte schon die Stufen hochsteigen, als Leah sie zurückhielt: »Einen Moment bitte! Vielleicht können Sie mir weiterhelfen.« Während sie erst in ihrem Trenchcoat und dann in der Handtasche kramte und zerknüllte Taschentücher auf den Boden rieseln ließ, wiegte die Frau das schreiende Baby auf den Armen und verdrehte die Augen, was Leah dazu veranlasste, sich noch mehr in der eigenen Handtasche zu verheddern.
Endlich erwischte sie das Portemonnaie und hielt Célines Foto hoch. Wenn sie schon einmal da war, konnte sie auch versuchen, mehr über die Beziehung zwischen ihrer Schwester und diesem Nick zu erfahren. »Haben Sie diese Frau hier schon einmal gesehen?«
»Bin ich der Hausmeister?« Die Frau wandte den Kopf ab. Das Baby zappelte in ihrem Griff und grapschte beharrlich mit seinen kleinen Händchen nach dem Ausschnitt ihrer Jacke.
»Kennen Sie Nick Milla? Er soll hier wohnen.«
»Mag sein. Keine Ahnung.«
Leah blies sich eine Strähne aus der Stirn. »Und der Hausmeister, wo finde ich den?«
»Im zweiten Stock.« Die Frau setzte einen Fuß auf die erste Stufe. »Frank Campen. Und jetzt habe ich wirklich keine Zeit mehr. Danke noch einmal.«
Leah wartete, bis das Babygeschrei sich die Treppe hochgeschraubt hatte und schließlich hinter einer der Türen einen Dämpfer bekam, und senkte das Portemonnaie. Das Foto zeigte Célines Gesicht mit blutroten Lippen und rosafarbenem Lidschatten, filigran und von wahrer Exotik. Das erste Shootingfoto, für das ihre Schwester kein Geld hatte zahlen müssen, voller Stolz aus einer Zeitschrift ausgeschnitten.
Im zweiten Stock angelangt, drückte sie auf die Klingel neben dem Schild mit dem Namen » Campen « . Nach einer kleinen Ewigkeit öffnete ihr ein schmächtiger Mann und entließ einen verführerischen Geruch nach gebratenen Zwiebeln, Paprika und Knoblauch ins Treppenhaus, eingehüllt in die aufwühlenden Töne von Rigoletto . Über seinem Bauchansatz spannte sich ein fleckiges Feinrippunterhemd, die Gesamterscheinung wertete eine Bügelfaltenhose auf.
»Wollen Se?«, knarzte der Mann. Ein überdimensionierter Totenkopf an der Gürtelschnalle seiner Hose, der zwischen den Zähnen eine Rose hielt, grinste Leah an.
»Tut mir leid, Sie zu stören. Haben Sie dieses Mädchen hier gesehen?«
Er räusperte sich. »Weiß nicht.«
Sie schielte zu ihrem Portemonnaie. Beiläufig mit einem Geldschein zu wedeln fiel aus, den letzten hatte sie für den Kaffee ausgegeben. Sie könnte mit ein paar Mützen klimpern. Was in Begleitung von Rigoletto bestimmt eine höchst dramatische Wirkung erzielen würde.
»Das ist meine Schwester«, versuchte sie es erneut. »Soweit ich weiß, war sie eine Bekannte von Nick Milla, kennen Sie ihn?«
»Der neue Mieter, ja? Lässt seine Katze überall herumstreunen. Ein schönes Tier – meine Fresse! Ja. Lästig. Die anderen beschweren sich, dass sie in fremde Wohnungen hineinläuft, wenn man nicht aufpasst. Als gehörte ihr hier alles. Das Mistvieh. Zeigen Sie mir noch einmal das Foto.« Eine Weile überlegte er. »Ach ja, ja. An die erinnere ich mich. Sie war ein paarmal hier, und seine Katze konnte sie nicht ausstehen. Das letzte Mal ist es sehr laut geworden. Ich habe die beiden im Treppenhaus streiten hören.«
»Wegen der Katze?«
»Weiß der Teufel, ja! Nein.« Gemächlich strich er sich über die Totenkopf-Schnalle. »Er hat gesagt: Du hast keine Ahnung, was auf dem Spiel steht. Sie hat geschrien:
Weitere Kostenlose Bücher