Im Wahn - Moody, D: Im Wahn - Hater
Straßenrand liegen. Dichter schwarzer Rauch steigt von den Müllsäcken und den Leichen auf und erfüllt die Luft mit einem üblen Gestank.
Liz zieht schluchzend die vorhänge zu.
Der Mann auf dem Treppenabsatz im ersten Stock ist tot. vor ein paar Minuten habe ich mich aus der Wohnung geschlichen und mich vergewissert. Was für eine schreckliche Art zu sterben – langsam und mutterseelenallein im dunklen Treppenhaus eines Mietshauses auf einer Betontreppe zu verbluten. Hätte ich etwas für ihn tun können? Schon möglich. Hätte ich etwas für ihn tun sollen? Auf keinen Fall. Nie und nimmer. Er war ein Hasser, und Abschaum wie er trägt die Schuld an alldem hier. Sie sind der Grund dafür, dass alles vor die Hunde geht. Ihretwegen muss ich mich mit meiner Familie in meiner eigenen Wohnung einschließen. Nur ihretwegen haben wir alle solche Angst.
An dem Leichnam oben und dem vorfall auf der Stra
ße erschreckt mich am meisten, dass es in so unmittelbarer Nähe geschehen ist. Ich wurde mit der Krise fertig, als wir nur im Fernsehen etwas davon gesehen haben. Selbst den vorfall beim Konzert und die Messerstecherei im Pub konnte ich noch verarbeiten. Heute erschreckt mich, dass alles in unmittelbarer Nähe meiner Kinder und meines Zuhauses angekommen ist. Bis heute habe ich mich in meiner Wohnung sicher gefühlt.
25
Die Kinder haben jetzt definitiv eine veränderung gespürt. vielleicht liegt es daran, dass sie seit Tagen in der Wohnung eingesperrt sind und keinen Kontakt zu anderen haben. Und was sie heute miterleben mussten, erleichtert die Situation nicht gerade. Sie stellen andauernd Fragen, und ich weiß nicht, wie ich sie beantworten soll. Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich ihnen sagen soll. Ich habe den Riegel abgenommen, den ich erst am Sonntag an der Badezimmertür befestigt hatte, und an der Wohnzimmertür (dem Fluchtraum, wie wir jetzt sagen sollen) festgeschraubt, damit sich alle ein wenig sicherer fühlen. Keine Ahnung, ob es was genützt hat.
Wir sitzen seit Stunden in unserem Fluchtraum, und ich ertrage es einfach nicht mehr. Ich stehe auf und gehe ziellos durch die Wohnung. Ich kann nicht nur rumsitzen und untätig sein, aber etwas unternehmen kann ich auch nicht. Ich will mit keinem reden. Mir ist kalt, ich bin müde und habe Angst. Ich gehe in Eds und Joshs kleines Zimmer und klettere auf Eds Bett oben. Sein kleiner Fernseher steht am Fußende. Ich schalte ein und zappe durch die Kanäle. Nichts Lohnenswertes. Ein paar Sender zeigen Wiederholungen alter Fernsehserien, die anderen nur den Informationsfilm, den wir schon gesehen haben. Er läuft gleichzeitig auf allen wichtigen landesweiten Sendern. Die Regierung muss ihn produziert haben.
Jedenfalls nehme ich an, dass es die Regierung war. Wer auch sonst?
Da nichts im Fernsehen kommt und es auch sonst keine Ablenkung gibt, sehe ich zum Fenster neben dem Bett hinaus. Ich lege mich auf der schmalen Pritsche flach auf den Bauch und beobachte durch den Netzvorhang die Straße draußen. Hier kann ich Calder Grove in seiner gesamten Länge überblicken – von den noch qualmenden Leichen von Woods und seiner Frau bis runter zur Kreuzung Gregory Street. Abgesehen von den Rauchschwaden ist alles reglos. Die Welt wirkt stumm und verlassen, als wären wir alle unter Quarantäne gestellt worden. Ab und zu erblicke ich eine einsame Gestalt in der Ferne. Die Leute halten sich in den Schatten und verschwinden so schnell, wie sie aufgetaucht sind. Sonst tut sich so gut wie nichts. Hin und wieder fährt ein Auto vorbei. Es ist, als würde man sich eine Fotografie der Welt ansehen.
Warum hat niemand etwas wegen der Leichen unternommen? Wir lassen die vorhänge im Wohnzimmer zugezogen, damit die Kinder sie nicht sehen können. Wenn Woods’ Frau am Morgen immer noch dort liegt, werde ich vielleicht eine Decke über sie werfen, nur um uns allen den Anblick zu ersparen. Ich kann die verkohlten Arme der Frau sehen. Die knochigen Hände und Finger hat sie erhoben und verschränkt, als würde sie beten oder um Hilfe bitten.
Ich weiß einfach nicht, was wir machen sollen. Ich versuche, nicht in Panik zu geraten. Eine andere Möglichkeit, als uns einzuschließen und dies alles auszusitzen, haben wir wohl nicht, wie lange es auch dauern mag. Ich will nicht …
»Was siehst du dir an?«, ertönt plötzlich eine Stimme
neben mir; ich zucke zusammen. Es ist Ellis. Sie hat sich in das Zimmer geschlichen und ist die Leiter von Eds Bett raufgeklettert. Mit
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