Im Wahn - Moody, D: Im Wahn - Hater
sein Schädel ist. Nach dem nächsten Mal hört seine Gegenwehr auf. Beim übernächsten Mal sackt er zusammen. Ein letzter Schlag und es ist vollbracht.
Ich schleife den Leichnam über den Boden und lasse ihn in einer Ecke der Küche liegen. Dann schließe und verriegle ich die Tür und kann endlich durchschnaufen und mein weiteres vorgehen planen.
So habe ich mich noch nie gefühlt. Ein Teil von mir ist immer noch am Boden zerstört und leer wegen der heutigen Geschehnisse. Aber ein anderer Teil ist kräftiger und lebendiger, als ich es je zuvor gewesen bin. Wie ich den Besitzer dieses Hauses getötet habe, das passt so gar nicht zu mir, und doch kam es mir richtig und gut vor. Ich fühle mich, als könnte ich es mit hunderttausend von ihnen aufnehmen, wenn es sein muss.
Ich bin ein Hasser.
Während ich in einem der Zimmer dieses unordentlichen und schmutzigen kleinen Hauses saß, konnte ich endlich voll und ganz akzeptieren, dass ich ein Hasser bin. Die Bezeichnung kommt mir jetzt vollkommen falsch vor, aber ich verstehe, warum sie ursprünglich eingeführt wurde. Für Außenstehende – die nicht empfinden, was ich jetzt empfinde – könnte es leicht den Anschein erwecken, als würde Hass unsere Taten bestimmen. Aber
das stimmt nicht. Ich habe heute ausschließlich in Notwehr gehandelt. Ich habe getötet, damit ich nicht getötet werde. Die Menschen, die »normalen« Menschen, sind diejenigen, die den Hass erzeugen. Erklären kann ich das nicht. Ich sehe es in ihren Augen und rieche es förmlich in der Luft um sie herum. Es ist wie ein sechster Sinn, ein Instinkt. Ich spürte es bei Harry, und darum habe ich ihn getötet. Bei dem Mann unten war es genauso, und beim nächsten, der mir begegnet, wird es keinen Deut anders sein. Ich werde nicht aufhören und weiter töten, solange es notwendig ist.
Und jetzt geht mir allmählich auf, wohin das führt. Endlich begreife ich, warum diese Krise von Anfang an so endlos und verworren gewirkt hat. Wir gegen sie. Die Lage lässt sich nicht mit einem Patt, einem Waffenstillstand oder politischen verhandlungen lösen. Dieser Kampf ist erst zu Ende, wenn eine Seite gewonnen hat und alle Gegner tot zu ihren Füßen liegen.
Töten oder getötet werden.
Hassen oder gehasst werden.
Es dämmert, und ich bin einsatzbereit. Ich habe bis jetzt abgewartet und hoffe, dass die Dunkelheit mir ein wenig Deckung und Schutz bietet. Ich nehme etwas zu essen aus der Küche mit (es ist kaum etwas übrig, das sich mitzunehmen lohnt) und kann mich wieder ins Freie wagen.
In der kurzen Zeit, die ich in dem Haus verbrachte, habe ich ein ständiges Wechselbad der Stimmungen und Gefühle erlebt. Eine Hälfte von mir ist aufgeregt und erfreut darüber, was aus mir geworden ist. Ein Teil fühlt sich zum ersten Mal wirklich frei, und ich verspüre Erleichterung, dass ich mich endlich von den Aspekten meines
Lebens lösen konnte, die ich verabscheut habe. Ich fühle mich kräftig, entschlossen und voller Tatendrang, doch das alles verpufft in den Momenten, wenn ich an die vergangenheit denke. Lizzie und ich wären nächstes Jahr zehn Jahre zusammen gewesen. Wir haben unsere Kinder gemeinsam großgezogen und standen uns immer nahe, auch wenn es manchmal nicht einfach war. Das alles ist jetzt dahin, was schmerzhaft für mich ist. Ich mag ein Hasser sein, dennoch empfinde ich Schmerz. Ich wünschte, Liz, Edward und Josh hätten sich auch verwandeln können. Ich darf nicht mehr an sie denken. Ich versuche, mir über meine Gefühle klar zu werden. Ich liebe sie immer noch, weiß aber, wenn es erforderlich sein sollte, würde ich sie töten, ohne einen Sekundenbruchteil darüber nachzudenken.
Als ich durch das Haus gehe, fällt mir etwas auf. Im Wohnzimmer liegt eine dünne Broschüre auf einem Tischchen neben einem schmutzigen, fadenscheinigen und offenbar häufig benutzten Sessel. Eine Broschüre der Regierung. Sie sieht sauber und neu aus und kommt mir trotzdem seltsam bekannt vor. Ich hebe sie auf und blättere sie durch. Soweit ich mich entsinnen kann, haben wir vor ein paar Monaten, als die eine oder andere terroristische Bedrohung existierte, auch so eine als Wurfsendung bekommen. Die Broschüre ist reichlich allgemein gehalten und informiert die Bevölkerung darüber, was bei einem Notfall zu tun ist. Sie behandelt Bombenanschläge, Naturkatastrophen und so weiter. Man sagt den Leuten, dass sie in ihren Wohnungen bleiben und sich über Rundfunk oder Fernsehen informieren sollen.
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