Im Wahn - Moody, D: Im Wahn - Hater
Außerdem gibt es Informationen über einfache erste Hilfe, welche vorräte man anlegen und wen man im
Notfall benachrichtigen sollte. Am Ende folgen mehrere Seiten mit Propaganda und Blödsinn – wie sich das Land auf alle Eventualitäten vorbereitet und die Notdienste auf kürzesten Zuruf einsatzbereit sein können, so etwas. Der Broschüre sind einige lose Seiten beigelegt; als ich sie überfliege, wird mir klar, dass der Besitzer dieses Hauses die Broschüre vermutlich vom Militär nach seiner heutigen Besuchs-/Inspektions-/Säuberungs-Aktion bekommen hat. Mich überrascht nicht, dass keine echten Fakten genannt werden; ich wittere auf der Stelle weiteren politischen Blödsinn. Dennoch ist es interessant zu lesen, was sie dem Rest der Bevölkerung über Leute wie mich sagen.
Was mit uns passiert ist, wird als eine Krankheit bezeichnet. Man deutet an, dass es sich um eine Art von Infektion handelt, die eine Form der Demenz auslöst, aber es wird um den heißen Brei herumgeredet, nichts beim Namen genannt, und es werden keine stichhaltigen Beweise geliefert. Es heißt, dass ein verschwindend geringer Anteil der Bevölkerung – nicht mehr als einer von hundert, steht da – für »den Zustand« anfällig ist. Sie nennen die Symptome und behaupten, dass die Kranken in ein Delirium fallen und willkürlich, brutal und irrational Leute angreifen. verdammte Idioten. An dem, was ich heute getan habe, ist nichts willkürlich oder irrational gewesen.
Am meisten erbost mich der Text auf der letzten beigelegten Seite. In der Broschüre heißt es, dass betroffene Mitbürger in Gewahrsam genommen und »behandelt« werden. Man muss kein Genie sein, um zu wissen, dass das der Grund ist, weshalb die Lastwagen und Soldaten die Stadt durchkämmen. Wie soll denn diese sogenannte
Behandlung aussehen? Soweit ich gesehen habe, besteht sie aus einer Kugel in den Hinterkopf.
Ich vergeude meine Zeit. Eigentlich will ich gar nichts mehr lesen. Ich stecke die Broschüre in die Tasche, vergewissere mich, dass die Straße draußen menschenleer ist, und lasse das Haus und seinen toten Bewohner hinter mir. Jetzt werde ich die Stadt durchqueren, dem Haus von Liz’ Schwester einen Besuch abstatten und Ellis nach Hause bringen.
Ich fühle mich stark. Allen Leuten überlegen, die sich nicht verwandelt haben. Ich bin froh, dass ich einer von hundert bin. Lieber so als einer von denen.
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Mir kommt es vor, als wäre ich Meilen gerannt, aber jetzt laufe ich langsamer. Ich habe den Stadtrand erreicht, wo es weniger Schatten und verstecke gibt. Ich will nicht gesehen werden. Ich hätte ein Auto nehmen können, aber da keine mehr unterwegs sind, hätte das zu viel Aufmerksamkeit auf mich gelenkt. Ich habe mein Zeitgefühl verloren. Früher Abend, und schon ist es fast völlig dunkel. Mir ist kalt, ich bin nass bis auf die Haut, weil es seit rund einer Stunde heftig regnet, aber das sind unbedeutende Unannehmlichkeiten, und ich fühle mich überraschend kräftig.
Ich weiß nicht, wie lange ich schon draußen bin, aber bis jetzt habe ich nur wenige andere Passanten gesehen. Die Luft ist immer noch erfüllt von Lärm, da das Militär nach wie vor versucht, uns aus den Häusern ins Freie zu treiben, aber die Straßen sind menschenleer. Ich weiß, dass nachts eine Ausgangssperre gilt, aber das ist sicher nicht der einzige Grund dafür, dass sich niemand sehen lässt. Es ist einfach zu gefährlich draußen. Von den wenigen Leuten, die ich gesehen habe – vereinzelte einsame Gestalten, die so unauffällig durch die Schatten schleichen wie ich -, hab ich mich ferngehalten. Ich will keinen Kontakt mit anderen riskieren. Ob sie wie ich wären? Möglich, aber ich darf mich nicht selbst unnötig in Gefahr begeben. Sie könnten auch wie die anderen sein. Ich
werde wieder töten, wenn es sein muss, bin aber nicht auf Ärger aus. Wichtiger ist, dass ich Ellis finde. Heute Nacht könnte man fast den Eindruck gewinnen, als hätte sich der »normale« Teil der Bevölkerung aus Angst vor uns in verstecke zurückgezogen.
Ich glaube, ich habe die halbe Strecke zwischen meiner Wohnung und dem Haus von Liz’ Schwester hinter mich gebracht. An sich wollte ich die ganze Nacht durchmarschieren, halte es jetzt aber für vernünftiger, wenn ich wieder in Deckung gehe. Erneut kreisen Helikopter über der Stadt, und ich fühle mich wie auf dem Präsentierteller. Mein Instinkt sagt mir, dass es bald zu gefährlich sein dürfte, sich allein in der Dunkelheit aufzuhalten,
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