Im Wald der stummen Schreie
er es aufgefangen hat. In einer Wanne oder einem anderen Behältnis.«
»Was macht er damit?«, fragte Taine.
Langleber musterte ihn und Jeanne. »Zwei Richter zu dem Preis von einem.« Der Gedanke schien ihn zu amüsieren.
»So wie es hier aussieht, muss er es an Ort und Stelle getrunken haben. Noch warm.«
»Bist du dir sicher?«
»Was die Technik anlangt, ja. Das Opfer weist an den Knöcheln Spuren von Fesseln auf. Überprüft die Stangen, an denen die Neonröhren hängen. Ihr werdet dort Scheuerspuren von Seilen finden. Beim ersten Mordopfer waren beide Knöchel gebrochen. Hier ist es meines Erachtens das Gleiche. Das alles wird in meinem Bericht stehen.«
»Wo du gerade von Bericht redest«, warf Reischenbach ein, »wir warten noch immer auf den ersten.«
»Er kommt schon noch. Immer mit der Ruhe.«
»Ich weiß nicht, worauf du noch wartest.«
»Heißt das im Klartext, dass die Frau noch lebte, als er sie aufhängte?«, fuhr Jeanne fort.
»Ja. Damit das Blut herausschießt, muss das Herz schlagen.«
Taine schüttelte stumm den Kopf. Seine Miene verriet zwei widersprüchliche Regungen. Einerseits wollte er die Ermittlungen entschlossen zu Ende führen, andererseits hätte er sich gern so schnell wie möglich aus dem Staub gemacht. Sich die Decke über den Kopf gezogen und dies alles vergessen.
»Dann schlitzt er ihr den Bauch auf«, fuhr Langleber ungerührt fort, »packt ihre Eingeweide mit beiden Händen und zieht sie heraus. Deshalb sieht es hier aus wie auf einer ›Schlachtplatte‹ ...«
»Kann man wohl sagen.«
»Wie hat er den Bauch aufgeschlitzt?«, fragte Jeanne. »Mit welcher Waffe?«
»Irgendwas Archaisches. Ich warte auf die Ergebnisse der pathologischen Analyse. Bestimmt wird man Partikel finden. Metall oder Stein. Aber all dies wirkt wie eine Szene aus dem Zeitalter der Höhlenmenschen.«
»Was macht er anschließend?«
»Er lässt den Körper zu Boden. Packt die Stricke und die Haken ein. Beginnt seinen Festschmaus. Habt ihr die Schamgegend gesehen? Ich glaube, dass er sie als Erstes verspeist.«
»Wieso als Erstes?«, fragte Taine.
»Eine Intuition. Jedenfalls verzehrt er diesen Teil roh. Ohne zu warten, während er andere Körperteile brät. Er hat ein besonderes Verhältnis zur Gebärmutter.«
Jeanne musste wieder an ihre Hypothese denken. Könnte der Mörder eine Frau sein?
»Anschließend reißt er ihr die vier Gliedmaßen ab. Euer Typ muss ungeheuer stark sein. Er bricht die Gelenke und verdreht den Arm oder das Bein so lange, bis die Verbindung reißt.«
Nein, keine Frau ...
»Dann zündet er das Feuer an und grillt die Stücke seiner Wahl. Arme, Beine und einige Organe. Ich bin noch nicht dazugekommen, eine systematische Bestandsaufnahme zu machen, aber beim ersten Mordopfer hat er sich die Leber, die Nieren und das Herz reingezogen. Das Herz ist ganz wichtig.«
Taine fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. Seine Aktentasche hatte er noch immer nicht abgestellt. Seine Assistentin neben ihm war zur Salzsäule erstarrt. Die Autorität, die die beiden verkörperten, schien sich völlig verflüchtigt zu haben.
»Bist du sicher, dass wir es mit einem Kannibalen zu tun haben?«, fragte der Ermittlungsrichter. »Ist es nicht denkbar, dass er die Fleischstücke zu einem anderen Zweck mitgenommen hat?«
»Nein. Beim ersten Mord konnte ich die Reste der Mahlzeit genauer untersuchen. Die Knochen wiesen eigenartige Rillen auf. Spuren des Zerlegens. Andere Knochen waren zerbrochen worden, um das Mark besser herauslösen zu können. Genau so, wie es unsere vorgeschichtlichen Ahnen getan haben. Das Schädeldach weist in der Mitte ein Loch auf. Der Mörder zertrümmert die Schädelkalotte, um das Gehirn herauszusaugen. Ich bin kein Spezialist, aber ich glaube, das ist eine Technik des Cro-Magnon-Menschen.«
Jeanne ergriff wieder das Wort – nur indem sie sich an ihre eigenen Fragen klammerte, konnte sie verhindern, ohnmächtig zu werden:
»Und der Talg?«
»So sorgt er für Helligkeit: indem er Fett verbrennt.«
»Jemand hat von ›tierischem Fett‹ gesprochen. Von welchem Tier stammt es?«
»Wer hat das behauptet?«
Der Hauptmann der Gendarmerie trat vor:
»Das haben mir die Techniker vom Erkennungsdienst gesagt.«
»Da liegen sie daneben. Nach den Analysen vom ersten Tatort handelt es sich um menschliches Fett. Der Mörder bedient sich an der Leiche. Er schneidet Teile von der Leiste oder vom Bauch ab und benutzt sie als Fettlampen.«
»Wenn er schon ein Feuer für
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