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Im Wald der stummen Schreie

Im Wald der stummen Schreie

Titel: Im Wald der stummen Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grange
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nirgends registriert ist.«
    Der Richter fragte etwas leiser:
    »Wurden die Angehörigen des heutigen Opfers schon unterrichtet?«
    Reischenbach wies auf seinen Nachbarn am Steuer des Peugeots.
    »Leroux wird sich darum kümmern. Ich spüre, dass er heute in Form ist.«
    Der Fahrer murrte und tippte dann mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm des GPS.
    »Wir sind da«, brummte er.

 
    10
    Das Labor befand sich in einer abgelegenen Industriezone. Mächtige Wohnblocks, ganz aus Glas und Beton, Fertighäuser, Lagerhallen für Glasfasern. Jedes Gebäude stand auf einem mehrere Hektar großen, grasbewachsenen, von Pfützen übersäten Grundstück. Weit und breit kein Mensch zu sehen.
    Leroux bremste in unmittelbarer Nähe eines langen zweistöckigen Gebäudes mit Reihenfenstern. Auf dem Firmenschild stand »Laboratoires Pavois«. Rings um das Gebäude befanden sich Einsatzfahrzeuge der Polizei, zivile Polizeiautos und Krankenwagen. Jeanne zitterte. Die Blaulichter der Fahrzeuge drehten sich rhythmisch und ließen die regengepeitschte Glasfassade aufleuchten, an der das Wasser herabtropfte, als wäre es Hochglanzfarbe. Silhouetten in glänzender Regenkleidung kamen und gingen durch die grauen Sturmböen. Gelbe Absperrbänder umgrenzten den Kreis der Hölle.
    Sie parkten hundert Meter von dem Gebäude entfernt und stiegen aus. Die Luft war warm und klebrig. Die Böen warfen sich auf sie und drückten wie Gischtpakete gegen ihre Flanken. Der asphaltierte Weg war schlammbedeckt. Jeanne, die hochhackige Schuhe trug, wäre beinahe gefallen und stützte sich auf Taines Arm. Mit eingezogenen Köpfen stapften sie zur Eingangstür, während Leroux seine Dienstmarke zückte, um durch die Absperrung gelassen zu werden. Jeanne war verstört. Der Regen. Der Schlamm. Die industrielle Atmosphäre. So hatte sie sich ein Labor für Amniozentese nicht vorgestellt.
    Ein Hauptmann der zuständigen Gendarmerie-Brigade kam ihnen entgegen. Der Staatsanwalt war schon wieder weg. Man wartete auf Taine, ehe man die Leiche fortbringen würde. Der Hauptmann machte ein paar Angaben über das Opfer. Nichts, was Reischenbach in seinem Briefing nicht schon erwähnt hatte.
    »Sie müssen nach rechts gehen«, sagte er mit ausgestrecktem Arm. »Die Zufahrt zur Tiefgarage befindet sich auf der Rückseite des Gebäudes. Machen Sie sich darauf gefasst, dass es ziemlich blutig wird.«
    Polizisten traten zu ihnen. Regenschirme sprangen knallend auf. Über einen von Ligusterbüschen gesäumten Weg gingen sie um das Gebäude herum. Alle stolperten über den rutschigen Gehsteig. Die Szene hatte etwas Komisches, aber am lächerlichsten wirkte noch immer Jeanne mit ihren Stöckelschuhen, ihrer durchnässten Jacke und ihren verschmutzten weißen Jeans.
    »Wir gehen da rein.« Der Hauptmann deutete auf eine Betonrampe, die in die Finsternis eintauchte. »Das Eisengitter ist offen. Sonst muss man ins Gebäude hineingehen und den Aufzug nehmen. Man braucht Ausweise und Codes. Das Labor ist ein regelrechter Bunker.«
    Jeanne und Taine sahen sich an. Wie war dann der Mörder ins Gebäude gelangt? Das Regenwasser strömte in dunklen, rauschenden Wellen in den Abflusskanal. Die Luft war so feucht, dass man Wasserdampf einatmete. Jeanne hatte den Eindruck, eine überheizte Höhle zu betreten. Einen verborgenen, archaischen Ort, dem Legenden entsprungen waren.
    Die Tiefgarage hatte eine niedrige Decke, die von Säulen getragen wurde. Keine Fahrzeuge, abgesehen von einem Smart, der von einem Absperrband umgeben war. Zweifellos der Wagen des Opfers. Polizisten in Regenschutzkleidung gingen kreuz und quer umher, während die Lichtkegel ihrer Taschenlampen über den Boden glitten.
    »Noch ein Stockwerk tiefer«, sagte der Hauptmann. »Zweites Untergeschoss. Ein Typ von der Stadtverwaltung ist gekommen, um uns die Funktion dieses Untergeschosses zu erklären, aber ich habe nichts kapiert. Die Tiefgarage beherbergt ein Kanalisationssystem aus den sechziger Jahren, das das gesamte Wasser der Industriezone entsorgt. Wollen Sie Masken? Da unten stinkt es entsetzlich.«
    Die Besucher lehnten das Angebot ab. Eine weitere Rampe. Sie begegneten den ersten Kriminaltechnikern in weißen Overalls mit der Aufschrift »Erkennungsdienst«. Ihre Scheinwerfer strichen über den Boden, sie fotografierten Details und sammelten Gegenstände in Plastikbeuteln mit Druckverschluss.
    Man gelangte zu einer Schleusenkammer aus Beton, die von zwei Uniformierten bewacht wurde. Sämtliche Polizisten aus dem

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