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Im Wald der stummen Schreie

Im Wald der stummen Schreie

Titel: Im Wald der stummen Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grange
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Ausweis entgegen. In diesem Moment bedeutete diese Geste nichts, aber die französischen Nationalfarben wirken immer. Sie hatte sich eingehend mit diversen Fällen von Brandstiftung beschäftigt, sodass sie bluffen konnte:
    »Jeanne Korowa, Richterin.«
    »Rich...«
    »Wer ist der Einsatzleiter?«
    »Kommandant Cormier.«
    »Wo ist er?«
    Der Junge schrie, um das Rauschen der Strahlrohre zu übertönen:
    »Da drin, glaube ich.«
    »Gibt es Opfer?«
    Jedes Wort brannte ihr in der Kehle. Der Feuerwehrmann machte eine vage Geste.
    »Das wissen wir nicht. Das Feuer ist im obersten Stockwerk ausgebrochen.«
    »Das ist doch die Hausnummer 18, oder?«
    »Ja.«
    »Sind alle Bewohner evakuiert worden?«
    Der Junge konnte nicht antworten. Soeben hatte eine Explosion die Straße erschüttert. Brennende Teilchen fielen auf die Straße. Glasscherben prasselten wie mit der Wucht von Hagelkörnern auf den Gehsteig und das Dach des Fahrzeugs. Unwillkürlich klammerte sich Jeanne an den Feuerwehrmann.
    »Sie sollten nicht hierbleiben, Madame!«
    Sie antwortete nicht. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf die von den Flammen verwüstete Fassade. Schwarze Wolken stiegen aus aufgeplatzten Fenstern auf. Gelbliche Feuerzungen leckten an den Fensterrahmen. Dichter Funkenregen ging in Schauern nieder. Das oberste Stockwerk verschwand völlig hinter den dichten dunkeln Schwaden. Das Stockwerk, in dem die Wohnung von François lag ...
    Jeanne sah sich nach den Bewohnern um, die gerettet worden waren. Ein Stück entfernt drängten sie sich verängstigt in der Nähe eines Krankenwagens, wo medizinisches Personal erste Hilfe leistete. Taine war nicht darunter. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie hatte den Richter ein Mal in seiner Wohnung besucht. Er hatte den Dachboden ausgebaut, und sein Appartement in eine Maisonettewohnung umgewandelt. Sein Büro befand sich in einem fensterlosen Zwischengeschoss, das man nur von innen erreichen konnte. Vielleicht hatten ihn die Flammen dort oben überrascht. Die Feuerwehrleute wussten mit Sicherheit nichts von der Existenz dieses verborgenen Winkels – eines Geschosses in einem Geschoss ...
    Jeanne senkte den Blick und sah das Sicherungsseil, den Strick, der die LKWs mit den Löschtrupps am Einsatzort verband. Sie schob den Jungen zur Seite und folgte der Schnur zum nächsten Löschfahrzeug. Sie watete durch Pfützen. Jeder Atemzug kostete große Mühe. Unten vor dem Haus mit der Nummer 18 versuchte eine Staffel von Männern noch immer die bebenden Mauern zu bezwingen, indem sie ihre Strahlrohre über Kreuz auf die Fassade richteten.
    Jeanne riss die Türen des Fahrzeugs auf. Sie fand eine Schutzjacke, einen Helm, Handschuhe und Stiefel. Ohne lange nachzudenken, zog sie die Sachen über. Sie hatte bei der Pariser Feuerwehr ein Praktikum gemacht. Da war er wieder, ihr Wille, Dinge technisch anzugehen. Erinnerungen kehrten zurück. Aber nicht alles. So wusste sie nicht mehr, wie man den Helm zumacht, dessen Visier und Nackenschutz sie heruntergeklappt hatte. Dagegen erinnerte sie sich daran, wie wichtig die Atemschutzmaske war. Sie packte eine Sauerstoffflasche, legte sie verkehrt herum an, schloss den Druckregler an das Anschlussstück der Maske an und stellte das System auf leichten Überdruck ein. Schließlich schnallte sie sich einen Gürtel um. Pickel, Axt, Feuerlöscher. Ein Feuerwehrmann unter anderen.
    Ohne Aufsehen zu erregen, lief sie zu dem Gebäude, wobei ihre innere Stimme hämmerte: Das ist Wahnsinn, das ist Wahnsinn, das ist Wahnsinn ... Dann wurde diese Stimme von rein körperlichen Empfindungen ausgelöscht. Ihre Lederjacke war tonnenschwer. Der Sauerstoff trocknete ihren Mund aus. Die Hitze war überall. Sie hob die Augen. Über das Visier rann Wasser, das in peitschenden Schauern von oben herabstürzte. Alle Stockwerke standen mittlerweile in Flammen. Aus den Fenstern im dritten und vierten Geschoss schlugen mehrere Meter hohe Flammen, während die Wasserstrahlen wirkungslos verpufften.
    Sie tauchte in das Gebäude ein. Konnte nichts sehen. Ging trotzdem weiter. Erspähte, verschwommen, den Briefkasten auf der rechten Seite. Sie spürte nicht die leiseste Angst. Ihre Ausrüstung vermittelte ihr das Gefühl, unbesiegbar zu sein. Sie erreichte das Treppenhaus. Eine Rauchwolke, schwarz wie Teer, erfüllte alles. Es knisterte und brüllte in dem spiralförmigen Schacht. Sie schob die Feuerwehrleute zur Seite und stieg die Stufen hinauf.
    Erster Stock.
    Ihr Blick jagte von rechts nach

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