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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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gleichmäßigem Plätschern und zahmen Stößen in einen Dämmerzustand. In der Ferne zog der weiße Katamaran der Fähre nach Guernsey an ihnen vorbei. Sie saßen im Windschatten an der Kajütenwand. Eine Weile schwiegen sie sich an, griffen abwechselnd in den Picknickkorb und ließen sich von der Sonne wärmen. Hin und wieder wagte eine verirrte Möwe eine Landung auf ihrem Baum, machte ein paar vorsichtige Schritte auf sie zu, um ihnen beim Kauen zuzuschauen.
    »Ich verstehe nicht, wie George von hier wegziehen konnte«, sagte Jessie plötzlich zur Möwe, die erschrocken wegflatterte.
    »George?«
    »Ma’s kleiner Bruder, du weißt schon.«
    »Ach so, der Unfall im Bergwerk.«
    »Es war kein Unfall. Ein Anschlag auf die Mine soll es gewesen sein. Terroristen.«
    Er schaute sie ungläubig an. »Terroristen«, wiederholte er verächtlich. »Typisch Amerikaner. Wenn sie sich etwas nicht gleich erklären können, steckt al-Qaida dahinter.«
    »Ist aber so«, meinte sie trotzig. »Die Mine wurde richtiggehend in die Luft gesprengt.«
    »Er wurde verschüttet?«
    Sie nickte und murmelte: »Wenigstens musste er nicht leiden, sagt Ma.«
    »Was bauten sie denn ab in dieser Mine?«
    »Weiß nicht. Irgendwelche Metalle halt. Was hat ihn nur an dieser gottverlassenen Gegend gereizt? Ich glaube, ich bleibe mein ganzes Leben hier in Weymouth. Gibt nichts Schöneres.«
    »Na ja, ich lebe jetzt auch in Bristol.« Es war ihm herausgerutscht, und er bereute die Bemerkung augenblicklich.
    »Eben«, sagte sie nur.
    Wieder der Schlafzimmerblick. Es war nicht zum Aushalten. Heute musste er den Durchbruch schaffen, den gewagten Schritt von der Freundschaft zur Liebschaft, sonst würde er elend krepieren. Aber seine alberne Bemerkung machte die Sache nicht einfacher. Sein Telefon klingelte, bevor er dem Schlachtplan einen weiteren Gedanken widmen konnte.
    »Wusste gar nicht, dass man hier Empfang hat«, brummte er unwirsch und drückte die Empfangstaste.
    »Ryan?«, rief eine aufgeregte Stimme aus dem Hörer. Ohne auf seine Antwort zu warten, schwatzte die Anruferin atemlos weiter: »Ich bin’s, Mrs. Pendergast, die Nachbarin. Deine Mutter ist von der Treppe gestürzt. Sie ist im Krankenhaus, hat den Knöchel gebrochen. Es geht ihr gut, aber du solltest sofort herkommen. Hallo?«
    Er unterdrückte einen Fluch. »Ich fahre so schnell es geht ins Krankenhaus, Mrs. Pendergast«, murmelte er. »Vielen Dank für den Anruf.« Er legte schnell auf, bevor die berüchtigte Quelle weitersprudelte.
    Jessie war aufgesprungen. »Krankenhaus?«, rief sie betroffen. »Was ist passiert, um Himmels willen?«
    »Meine Mutter. Sie ist gestürzt.« Als er sah, wie sie erschrak, fügte er schnell hinzu: »Nichts weiter – sonst ist sie wohlauf.«
    »Gott sei Dank«, seufzte sie und drückte ihn zum Trost an ihre Brust.
    So funktioniert es also, dachte er, verwarf den unanständigen Gedanken aber sofort wieder. Der Zustand seiner alten Mutter bereitete ihm ernsthafte Sorgen. Allzu lange sollte sie nicht mehr allein in ihrem Häuschen bleiben.
     
    Weißes Haus, Washington DC
     
    Bob Wilson saß nicht zum ersten Mal in einer Sitzung im Weißen Haus. Als Deputy Director der Nationalen Sicherheitsbehörde, NSA, musste er seinen Boss hin und wieder an einem Briefing oder Hearing vertreten. Diesmal aber war es anders. Der Sicherheitsberater des Präsidenten persönlich hatte die Spitzen des gigantischen Sicherheitsapparates der Vereinigten Staaten zu diesem geheimen Meeting ins abhörsichere Zimmer im innersten Kern des Weißen Hauses geordert. Cheryl Rudd, Direktorin des FBI, saß sichtlich nervös zu seiner Linken auf der Stuhlkante und blätterte in irgendwelchen Unterlagen. Der Untersekretär für Wissenschaft und Technologie vertrat das DHS, das Department of Homeland Security, das seine glitschigen Finger wie ein Riesenkrake seine Tentakel in alle Geheimdienste steckte. Sogar in seine NSA. Die Leute aus Langley kannte er bisher nur dem Namen nach. Admiral Jack Parker, den Vorsitzenden des Generalstabs, war jedem aus dem Fernsehen bekannt. Er vertrat das Verteidigungsministerium. Der Verteidigungsminister selbst zog es vor, der Sitzung fernzubleiben, die er nicht selbst leitete. Jeder der Chefs brachte noch mindestens zwei Spitzenbeamte mit, von denen Bob einen einzigen flüchtig kannte. Das Zimmer war nicht für solche Volksaufläufe gedacht. Zum Teil saßen die Leute in zwei Reihen um den großen Tisch. Nur Pete Miller vom DHS sprach gedämpft mit

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